Düsseldorf. Bislang regierten die NRW-Grünen „geräuschlos“ mit NRW-Ministerpräsident Wüst. Dessen neuer Flüchtlingskurs erntet nun Widerspruch.

Wäre Hendrik Wüst ein Surfer, würde man aktuell vom Ufer aus mit bloßem Auge gar nicht erkennen können, wie behutsam er am Gabelbaum zupft, um weiterhin hart am Wind zu bleiben. Vor allem scheint seinem grünen Koalitionspartner erst jetzt aufzugehen, dass sich in der Migrationspolitik unmerklich der NRW-Kurs geändert hat.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident macht sich neuerdings für Abschiebeverhandlungen mit den terroristischen Taliban in Afghanistan stark. Schon länger redet er der Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU das Wort. Er will illegale Einwanderung möglichst komplett unterbinden und stellt sich hinter eine Bezahlkarte für Flüchtlinge mit möglichst strengem Bargeld-Limit.

Nur klingt das bei Wüst nie scharfmachend, ätzend oder polternd. Vielmehr klammert er seine Vorschläge vorsorglich bedauernd als „Zumutung“ ein oder als „nicht schön“. Abschiebeoffensive, aber bitte mit Anstand, scheint die Devise zu sein.

NRW: 4000 bis 5000 neue Asylbewerber kommen pro Monat

Vergangene Woche etwa war der Ministerpräsident in der Landespressekonferenz voller Empathie für Zuwanderer aufgetreten: „Es ist meine feste Überzeugung, dass für den Bildungserfolg von Kindern nicht entscheidend sein darf, wo sie herkommen, wann sie gekommen sind, welche Hautfarbe sie haben, welche sie Religion sie haben oder ob die Eltern schon einen guten Bildungsstand haben – es sind alles unsere Kinder.“

Zweifellos gekonnt bedient Wüst damit das Gefühl der politischen Mitte, dass es bei monatlich 4000 bis 5000 neu in NRW ankommenden Flüchtlingen so nicht weitergehen kann, man deswegen trotzdem nicht gleich unmenschlich werden sollte. Die Aufnahmefähigkeit der Städte sei erschöpft: „Das kann nicht richtig sein, auch nicht für die gesellschaftlichen Folgen einer solchen Situation.“ Parallel nennt Wüst die AfD so klar wie sonst niemand in der Spitzenpolitik eine „Nazi-Partei“. Sein Positionsspiel wirkt bisweilen so variabel wie das von Toni Kroos.

Die NRW-Grünen scheinen nicht so richtig zu wissen, wie ihnen gerade geschieht. Gut zwei Jahre haben sie „geräuschlos“ mit dem netten „Hendrik“ regiert. Es wurde nie gestritten, fiel aber auch nicht weiter auf, dass sie überhaupt mit am Kabinettstisch saßen. Bei der Europawahl kam jüngst das böse Erwachen: Die Öko-Partei wurde gewaltig abgestraft. Gerade die Jungwähler liefen in Scharen davon. Den einen sind die Grünen zu machtpragmatisch in NRW, den anderen zu konfus in der Ampel. Und beim aktuellen Großthema Migration wirken sie insgesamt zu unentschlossen.

Wüst tut alles, um die Grünen in ihrer Sinnkrise nicht unnötig zu provozieren

Wüst tut alles, um seinen Koalitionspartner in dessen Sinnkrise nicht unnötig zu provozieren. Obwohl Grünen-Bashing in der Union gerade hoch im Kurs steht und er die Kanzlerkandidatur noch immer nicht ganz abgeschrieben zu haben scheint, meidet er Koalitionsknatsch. Nach der Ministerpräsidenten-Konferenz am Donnerstag forderte Wüst den Kanzler bloß mit Nachdruck auf, „mit Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit eine Drittstaaten-Lösung anzugehen“. Außerdem stellte er sich hinter die Bezahlkarte mit nur 50 Euro Bargeldrest für Flüchtlinge, die in NRW ohnehin keine Stadt verpflichtend einführen muss.

Gemessen an der Protokollerklärung, die Wüsts Amtsbrüder Markus Söder (CSU, Bayern) und Michael Kretschmer (CDU, Sachsen) ins Abschlussdokument bugsierten, blieb NRW damit ziemlich unauffällig. Ausreisepflichtige Straftäter seien „in Sofort-Arrest zu nehmen und zwar solange, bis sie freiwillig in ihr Herkunftsland zurückkehren“, hieß es aus München und Dresden.

Die NRW-Grünen waren am Freitag dennoch erstmals wieder um Abgrenzung bemüht. Bundestagsfraktionschefin Katharina Dröge aus Köln erinnerte daran, „dass insbesondere bei dem von Hendrik Wüst offensichtlich immer wieder in den Blick genommenen Ruanda-Modell, das ja in Großbritannien so fulminant gescheitert ist“, so hohe praktische, verfassungs- und europarechtliche Hürden bestünden, dass es „nahezu nicht durchführbar“ sei. Sie resümierte: „Für mich ist dieser Vorschlag eher eine schlechte Show ohne Substanz.“

Die Grünen-Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek will anders als Wüst auch keinen Straftäter nach Afghanistan abschieben: „Nicht zu den Taliban, wo er womöglich auch noch freigelassen oder gefeiert wird“.

Ihr Co-Vorsitzender Tim Achtermeier setzte in der Debatte um Bargeldleistungen für Flüchtlinge einen auffallend anderen Ton: „Einen Asylantrag zu stellen, ist erstmal kein Verbrechen und eine Bezahlkarte sollte auch keine Bestrafung sein.“