Teheran. Der Tod des iranischen Präsidenten wirft die Frage auf, wer ihm nachfolgen wird. Gute Chancen hat auch der Sohn des obersten Führers.
Nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi übernimmt gemäß der Verfassung des Landes zunächst der erste Stellvertreter, Mohammed Mochber, dessen Funktionen. Auch er ist ein Hardliner und stand wegen Verbindungen zu Irans Atomprogramm zwei Jahre lang auf einer Sanktionsliste der EU. Binnen 50 Tagen müsste dann ein neuer Präsident gewählt werden. Raisi war am Sonntag bei einem Helikopter-Absturz an der Grenze zu Aserbaidschan ums Leben gekommen.
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Bei dem Unglück starben alle neun Besatzungsmitglieder und Passagiere – darunter neben Raisi auch sein Außenminister Hussein Amirabdollahian. Zuvor hatte Raisi gemeinsam mit dem aserbaidschanischen Staatschef Ilham Alijew im Grenzgebiet zwischen beiden Staaten ein Dammbauprojekt eingeweiht. Raisis Konvoi bestand aus insgesamt drei Hubschraubern, zwei davon landeten sicher in der Stadt Täbris im Nordwesten des Iran.
Der Tod des Präsidenten dürfte die Islamische Republik in eine schwere politische Krise stürzen. Raisi, der einen engen Draht zum obersten politischen und religiösen Führer Ali Chamenei hatte, galt als heißer Kandidat für dessen Nachfolge. Ali Chamenei ist 85 Jahre alt, leidet an Diabetes und ist gesundheitlich angeschlagen. Er ist im Iran die oberste Instanz und trifft alle strategischen Entscheidungen. Das gilt für die brutalen Polizeieinsätze gegen Demonstranten ebenso zu wie für das Atomprogramm des Landes.
Irans oberster Führer Chamenei könnte Sohn zum Nachfolger machen
Ob sich Chamenei an die Verfassung halten wird, ist allerdings nicht sicher. Nach Einschätzung des iranischen Historikers Arash Azizi ist es möglich, dass Parlamentssprecher Mohammad Bagher Ghalibaf „nun eine gute Chance haben könnte, Raisis Nachfolger zu werden“. Auch eine Allianz mit Modschtaba Chamenei, dem Sohn des obersten Führers, sei denkbar. Sollte es dazu kommen, wäre dies wohl auch eine Vorentscheidung für die Nachfolge des obersten Führers selbst.
Modschtaba Chamenei wurde neben Raisi bereits früher als ein möglicher Kandidat gehandelt. Er soll großen Einfluss auf seinen Vater haben, heißt es. Dynastische Erbfolgen sind allerdings im schiitischen Mullah-Regime äußerst selten. Die Entscheidungsprozesse in Chameneis innerstem Zirkel sind im Westen eine Black Box. Nach allem, was bekannt ist, galt Raisi als der wahrscheinliche Kandidat für das Amt des obersten Führers.
Er war zudem Mitglied des Expertenrats, der den obersten Führer wählt. „Der Tod Raisis ist nicht deshalb bedeutsam, weil er als Persönlichkeit beeindruckend war“, betonte der Historiker Azizi. „Im Gegenteil: Man hatte ihn gerade deshalb ausgewählt, weil er zwar ideologisch rigide war, aber kein Charisma besaß und sich perfekt zum Platzhalter eignete.“ In der US-Zeitschrift „The Atlantic“ schrieb Azizi, nach dem Tod Raisis werde in Teheran ein heftiger Machtkampf ausbrechen.
Der Tod Raisis könnte einen Machtkampf im Mullah-Regime auslösen
Raisis Passivität habe Herausforderer unter den Hardlinern ermutigt. Raisis Tode werde „das Machtgleichgewicht zwischen den Fraktionen innerhalb der Islamischen Republik verändern“, so der Iran-Experte weiter. Raisi war über drei Jahrzehnte in der zentralen Justizbehörde des Landes tätig. 2019 wurde er zum Justizchef ernannt. In seiner früheren Funktion als Staatsanwalt soll er im Jahr 1988 für zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen politischer Dissidenten verantwortlich gewesen sein, weshalb seine Gegner ihm den Beinamen „Schlächter von Teheran“ verpassten.
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Auch wenn sich die Kritik der jungen Generation inzwischen immer mehr gegen das gesamte System der Islamischen Republik richtet, stand Raisi innenpolitisch besonders unter Druck. Zuletzt trieb die Regierung ihren umstrittenen Kurs bei der Verfolgung des Kopftuchzwangs voran und brachte damit Teile der Bevölkerung noch mehr gegen sich auf.
Interims-Präsident Mochber hatte sich nach Angaben eines Regierungssprechers bereits am Sonntagnachmittag gemeinsam mit mehreren Ministern auf den Weg nach Täbris gemacht. Die Iraner rief Chamenei bereits am Sonntag dazu auf, sich „keine Sorgen zu machen“. Es werde „keine Störungen“ im staatlichen Handeln geben. (mit AFP)
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