Berlin/Tiflis. Gewalt und Tränengas: In Georgien wehren sich Zehntausende gegen ein neues Gesetz, die Demokratie wankt. Was Augenzeugen berichten.
Seit Beginn der Proteste geht die Regierung mit äußerster Härte gegen die Demonstranten in Georgien vor. „Die Polizei setzt Pfefferspray und Tränengas ein. Ich habe gesehen, wie direkt vor mir Menschen von der Polizei verprügelt wurden“, erzählt die Journalistin Nina Vaxanski im Gespräch mit dieser Redaktion. Laut ihr wurden in den vergangenen Tagen Dutzende Menschen verhaftet, viele von ihnen schwer verletzt.
Trotz wochenlanger Proteste hat Georgiens Parlament am Dienstag in dritter Lesung ein umstrittenes Transparenzgesetz verabschiedet. Demnach sollen sich Nichtregierungsorganisationen und Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Gelder aus dem Ausland erhalten, als Vertreter „ausländischer Interessen“ registrieren. Die 84 Abgeordneten der Regierungspartei Georgischer Traum stimmten dafür, 30 Abgeordnete dagegen.
Während der Debatte versammelten sich, wie schon in den vergangenen Wochen, wieder Zehntausende Menschen im Zentrum der Hauptstadt Tiflis. Einige Demonstranten versuchten ins Parlament zu gelangen. Die Polizei drängte sie gewaltsam zurück.
Dennoch machen die Menschen in Georgien weiter: Ohne eine zentrale politische Führung organisieren sie die Demonstrationen über Facebook und andere soziale Netzwerke. „Hier in Tiflis bieten viele Übernachtungsmöglichkeiten für Menschen von außerhalb an, andere kochen für Demonstranten oder betreuen Kinder, damit die Eltern demonstrieren können“, berichtet Vaxanski.
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Viele Georgier wollen nicht, dass ihr Land den gleichen Weg geht wie Russland
Viele Georgier haben Angst, dass das Land den gleichen Weg gehen könnte wie Russland. Dort wurde bereits 2012 ein ähnliches Gesetz eingeführt, dass von der russischen Regierung genutzt wird, um politische Gegner zu stigmatisieren und letztlich auszuschalten.
„Es ist kein Gesetz gegen ausländische Agenten, sondern gegen die Bürger Georgiens“, sagt Vaxanski. Ihr zufolge, ist das Gesetz so vage formuliert, dass es der Regierung einen Freibrief gibt, jeden zu verfolgen, der gegen ihre Politik ist. Sie befürchtet, dass Georgien nun den EU-Kandidatenstatus verliert, den das Land erst im vergangenen Jahr erhalten hatte. Auch international stößt das Gesetz auf Ablehnung: Amnesty International verurteilte in einer Mitteilung das Gesetz und sieht die Versammlungsfreiheit in Georgien gefährdet.
Interveniert Russland nun militärisch?
Angesichts Hunderttausender Protestierender und einer immer weiter eskalierenden Polizeigewalt sprechen einige Beobachter schon von einem „Maidan 2.0“, der sich derzeit in Georgien abspielt. Könnte nun Russland ähnlich wie 2014 in der Ukraine und 2008 militärisch intervenieren und neben Abchasien und Südossietien weitere Gebiete annektieren? Vaxanski hält das für unwahrscheinlich: „Russland muss nicht einmarschieren, denn die Regierung liefert Georgien Russland aus“, sagt sie.
Bei ihren Protesten haben die Demonstranten Unterstützung von ganz oben: Die pro-europäische Staatspräsidentin Salome Surabischwili kündigte bereits vor Tagen an, ein Veto gegen das Gesetz einzulegen. Doch die Regierungspartei verfügt über genug Abgeordnete, um dieses zu überstimmen. Nina Vaxanski ist pessimistisch über die weiteren Entwicklungen: „Ich erwarte, dass die Regierung zu allem bereit ist“.