Berlin. Der Präsident des Industrieverbands BDI über die Haushaltseinigung der Ampel: Was er als Gift für den Standort Deutschland bezeichnet.
Schafft Deutschland die wirtschaftliche Transformation? Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), spricht nach den Haushaltsbeschlüssen der Bundesregierung über Auswirkungen auf Unternehmen und Verbraucher.
Herr Russwurm, Sie haben den Haushaltskompromiss als „hartes Sparpaket, das Wirtschaft und Verbraucher schwer belasten wird“ bezeichnet. Wo hätte die Bundesregierung stattdessen sparen sollen?
Siegfried Russwurm: Tatsache ist, dass das Paket der Bundesregierung an vielen Stellen zu höheren Belastungen für Bürger und Unternehmen führt. Damit wird es weitere dämpfende Effekte auf die Konjunktur haben, und – noch unerfreulicher – auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland.
Es ist müßig, jetzt zu sagen, da und da wären andere Maßnahmen besser gewesen. Aber dringend erforderlich ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, zum Beispiel endlich durch ein Zurückdrängen der ausgeuferten Bürokratie. Richtig gemacht kostet das kein Geld, sondern entlastet doppelt: die öffentlichen Haushalte und die Unternehmen.
Für die Industrie sind vor allem der höhere CO₂-Preis und teurere Netzentgelte schmerzhaft. Welche Folgen befürchten Sie?
Russwurm: Die Preise für Strom und Energie in Deutschland sind eh international auf Rekordniveau und steigen jetzt erneut. Das ist Gift für den Standort. Investoren werden sich noch ernsthafter fragen, ob sie nächste Investitionen in Deutschland machen oder anderswo. Deutschland fällt zurück.
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Wie wirken sich diese neuen Belastungen auf die Preisgestaltung der Endprodukte und damit auch für die Verbraucher aus?
Russwurm: Wenn der CO₂-Preis für die verladende Wirtschaft um 50 Prozent steigt, dann werden die höheren Logistikkosten umgelegt auf die Preise. Dasselbe gilt für die Plastiksteuer. Inlandsflüge werden teurer und E-Autos weniger gefördert. Am Ende zahlt der Verbraucher die Rechnung.
Sie gehen davon aus, dass Ausgabenkürzungen und Steuermehreinnahmen die Wirtschaftsaktivität in Deutschland bremsen werden. Wie schmerzhaft wird das für den Standort?
Russwurm: Das bleibt nicht ohne Konsequenzen. Und es trifft einen Standort, der derzeit gegenüber allen anderen Industrieländern zurückfällt. Die Bundesregierung hat nun einen Ansatz vorgelegt, ihr Haushaltsproblem zu lösen. Wenn wir das Land wieder flottmachen wollen, bedarf es dafür aber einer grundsätzlichen Neuorientierung. Die steht aus.
Was erhoffen Sie sich in den kommenden Jahren noch von der Koalition?
Russwurm: Unsere Erwartung an die Bundesregierung war und bleibt, dass sie regiert. Und nicht, dass wir zu vielen Themen von jedem Koalitionspartner einzeln unterschiedliche Aussagen bekommen, aber keine gemeinsamen Entscheidungen der Regierung. Das reicht aber noch nicht, damit Unternehmen eine saubere Kalkulationsbasis über die nächsten Jahre haben.
Unser klarer Appell geht an alle demokratischen Parteien, auf einen demokratischen Konsens in wesentlichen Fragen hinzuarbeiten, der dann auch über eine Wahl 2025 hinweg stabil ist. Denn die allermeisten Investitionen haben einen deutlich längeren Zeithorizont als nur zwei Jahre. Und dafür braucht man Klarheit und nicht das Risiko, dass sich nach jedem Regierungswechsel wieder alles ändern könnte. Das gilt ganz besonders für die Transformation, die jetzt ansteht.
Sicher erscheinen nun hingegen die Milliardenförderungen für die Transformation der Wirtschaft und für Ansiedlungsprojekte. Wie beruhigt sind Sie?
Russwurm: Dass bereits genehmigte Förderungen nicht nachträglich wieder infrage gestellt werden, war wichtig. Alles andere hätte das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik ja schwer beschädigt.
Ist es eigentlich richtig, dass Deutschland Ansiedlungen wie Intels Halbleiterfabrik mit zehn Milliarden Euro fördert?
Russwurm: Ich finde diese Förderung richtig. Falsch ist aus meiner Sicht das Umrechnen der Subvention auf die neuen Jobs, die entstehen. Das ist keine Arbeitsplatzmaßnahme, sondern eine Technologiemaßnahme, nicht zuletzt aus Gründen der Resilienz. Aus einer marktwirtschaftlichen Perspektive kann man bedauern, dass in dieser Branche hohe Subventionen Usus sind. Ohne die Unterstützung gäbe es eine Ansiedlung wie die von Intel in Deutschland nicht. Das wäre schade.
Die Corona-Pandemie hat die deutsche Verwundbarkeit bei den Lieferketten schonungslos offenbart. Wie weit ist die Industrie bei dem Vorhaben, die Lücken zu schließen?
Russwurm: Viele Unternehmen haben innerhalb ihres eigenen Netzwerks Veränderungen vorgenommen. Das ging relativ schnell. Bei vielen Spezialprodukten, die zum Beispiel in China oder Taiwan produziert werden, oder bestimmten Materialien, wo 80 oder 90 Prozent der Produktion in einem Land stattfinden, geht das nicht so einfach. Wer glaubt, dass das innerhalb von zwei Jahren gelingen kann, ist viel zu optimistisch.
Wenn Sie mit Blick auf den Standort Deutschland einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Russwurm: Da steht das Thema effiziente Verwaltung ganz oben auf der Liste. Es gab dazu bei dem letzten Bund-Länder-Treffen einige Entscheidungen in die richtige Richtung. Die müssen schnell umgesetzt werden. Grundsätzlich gibt es in unserem Land eine Tendenz zur Regulierung von Wirtschaft, die unterstellt, dass permanent gegen Regeln verstoßen wird. Und Unternehmen werden gezwungen, ständig und vollständig zu dokumentieren, dass sie richtig handeln. Das ist absurd und höchst ineffizient.
Stichproben und gegebenenfalls Strafmandate wie beim Falschparken wären die passende Lösung. Für jeden Parkvorgang eine Dokumentation in Flensburg vorlegen zu müssen, dass man richtig geparkt hat, wäre offenkundig unsinnig. Aber genau so wird in vielen Themen mit Unternehmen in Deutschland umgegangen.
Im kommenden Jahr ist global ein Superwahljahr. Auch in den USA wird neu gewählt. Welche Gefahr würde ein künftiger erneuter US-Präsident Donald Trump für die deutsche Industrie darstellen?
Russwurm: Ich mache mir tatsächlich Sorgen über die demokratische Entwicklung in den USA. Ein möglicher Präsident, der den Klimawandel negiert und die Ukraine-Unterstützung infrage stellt, würde nicht nur Europa vor große Probleme stellen.
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Deutsche Arbeitnehmer arbeiten im EU-Vergleich weniger als der Rest Europas. Wie sehr schadet das unserer Wettbewerbsfähigkeit?
Russwurm: Wir müssen um so viel besser sein, wie wir teurer sind. Regelarbeitszeiten sind gerade in der Industrie das Ergebnis von Tarifverhandlungen, die ich nicht kritisieren will. Menschen, die aus welchem Grund auch immer mehr arbeiten wollen, sollten das dürfen. Das müssen wir möglich machen, und deshalb wünsche ich mir dafür mehr Flexibilität bei Gewerkschaften und Unternehmen. Da ist noch Luft nach oben.
Es gibt durchaus auch Menschen, die sich über eine Vier-Tage-Woche freuen würden. Können Sie das nachvollziehen, wenn Beschäftigte sagen, sie wollen weniger arbeiten?
Russwurm: Ich will das niemandem verwehren. Aber so zu tun, als könne man in 32 Stunden Wochenarbeitszeit das Gleiche schaffen wie in 35 Stunden, ist eine Beleidigung gegenüber jedem in der Krankenpflege oder im Einzelhandel, der sich diesen Luxus nicht leisten kann. Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich sehe ich nicht.
Gut 30 Prozent der Beschäftigten in Deutschland waren 2022 in Teilzeit. Viele würden ihre Stundenzahl durchaus gerne erhöhen. Wegen fehlender Kinderbetreuung zum Beispiel geht das aber nicht. Wie kann die Industrie darauf reagieren?
Russwurm: Es hat etwas sehr Positives für die gesamte Gesellschaft, wenn jemand, der mehr arbeiten will, das auch kann. Da müssen wir noch manche Bremsklötze lösen. Es gibt durchaus in vielen Unternehmen betrieblich organisierte Kindergärten. Gut so! Aber Hauptverantwortlicher für die gesellschaftspolitische Frage der Kinderbetreuung kann die Wirtschaft nicht sein. Es ist Aufgabe des Staates, die Betreuungsschlüssel so zu erhöhen, dass es ausreichende Betreuungsangebote gibt, zum Beispiel auch noch nach 16 Uhr.