Düsseldorf. Um andere zu retten, hat Jennifer Monzel in den Fluten 2021 ihr Leben riskiert. Dafür hat die Soldatin aus Essen die Rettungsmedaille bekommen.

15. Juli 2021. Jennifer Monzel sitzt in ihrem Auto. Sie ist auf dem Weg zu ihrem Job bei der Bundeswehr in Euskirchen. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnt: Sie wird an diesem Tag gar nicht bei ihrer Arbeit ankommen, sondern stattdessen ihr eigenes Leben riskieren, um Menschen vor dem Hochwasser in Erftstadt zu retten.

Und sie weiß auch noch nicht, dass sie dafür zwei Jahre später eine glänzende Rettungsmedaille von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verliehen bekommt.

Soldatin zu ihrem Einsatz: „Plötzlich hat sich ein Schalter umgelegt“

An diesem Morgen macht sich erst nach ein paar Kilometern ein mulmiges Gefühl in ihr breit. Die Soldatin ruft ihren Lebenspartner an: „Schatz, ich komme hier nicht durch. Der Weg über Troisdorf ist gesperrt.“ Sie legt auf, verlässt die Bundesstraße 265 und fährt auf eine Brücke. Von dort aus bietet sich ihr ein furchtbarer Anblick: Zum ersten Mal sie sieht die Wassermassen, die von der Erft auf die Autobahn gespült worden sind. Etwa 40 Menschen stehen schon auf der Brücke, um sich vor den Fluten zu schützen.

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Die Soldatin greift zum Telefon, ruft wieder ihren Freund an: „Schatz! Hier ist überall Wasser! Ganz viele Autos sind überschwemmt. Ich melde mich später.“ Dann steigt sie aus. „Plötzlich hat sich ein Schalter in meinem Kopf umgelegt. Ich wusste, ich muss sofort aktiv werden“, sagt die 40-Jährige im Rückblick.

Flutkatastrophe 2021: Lange Zeit ist Jennifer Monzel die einzige Hilfskraft vor Ort

Jennifer Monzel sieht, dass sich in der Nähe der Brücke auch Menschen aufhalten. Unter ihnen ist eine schwangere Frau, die sofort auf sie zuläuft – vermutlich, weil sie die einzige Person weit und breit ist, die eine Uniform trägt. Die Schwangere sagt ihr in einem ängstlichen Ton, dass sie ihr Kind ungern hier zur Welt bringen wolle – und Monzel begreift noch mehr: Die Menschen brauchen ihre Hilfe.

17.07.2021: Autos stehen noch immer auf der überfluteten Bundesstraße 265 bei Erftstadt im Wasser.
17.07.2021: Autos stehen noch immer auf der überfluteten Bundesstraße 265 bei Erftstadt im Wasser. © dpa | Marius Becker

Alles passiert Schlag auf Schlag. Noch bevor Rettungskräfte eintreffen, bringt sie Personen in Sicherheit und richtet Sammelpunkte für Evakuierte ein. „Ich war lange Zeit die einzige Rettungs- oder Hilfskraft vor Ort und wusste auch nicht, wann Unterstützung von Feuerwehr oder Technischem Hilfswerk eintreffen würde“, erzählt die gebürtige Essenerin.

Sie beruhigt die Menschen vor Ort, telefoniert und organisiert weitere Hilfe. Sie klopft an fremde Türen, fordert die Bewohner auf, die wichtigsten Sachen zu packen und sich mit Decken und Kerzen in die obersten Stockwerke zu begeben. Dann zückt sie Notizblock und Stift und schreibt eine Liste von überschwemmten Häusern, in denen Menschen eingeschlossen sind, die evakuiert werden müssen.

Über 24 Stunden hat die Essenerin geholfen, Menschen zu retten

In ihrem Kopf schwirren zig Sorgen umher. „Vieles, was mir durch den Kopf ging, habe ich den Menschen vor Ort gar nicht gesagt“, erzählt Monzel im Nachhinein. Zum Beispiel: „Was ist, wenn noch mehr Wasser kommt?“ Sie checkt die Umgebung ab, sucht einen Berg, irgendeinen hoch gelegenen Ort, wo sie die Menschen vor weiteren Wassermassen in Sicherheit bringen könnte.

Dass sie selbst permanent in Lebensgefahr ist – und sich im Laufe des Tages immer und immer wieder bringt –, weiß sie zwar. Aber so richtig realisiert sie das erst viel später. „Mir war immer nur bewusst, dass die Flut noch viel schlimmer werden könnte“, sagt sie.

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Als die ersten Feuerwehrleute eintreffen, begleitet sie die schwangere Frau zum Rettungsfahrzeug. Dann bergen sie zusammen Menschen aus überschwemmten Autos und retten eine ältere, demenzerkrankte Frau aus ihrem Haus, das hüfthoch unter Wasser steht. Bis in die Morgenstunden unterstützt Monzel, wo sie nur kann. Nach über 24 Stunden ist die Lage unter Kontrolle und die 40-Jährige fix und fertig. Ihr Lebenspartner holt sie ab. „Bis dahin stand ich unter Adrenalin. Aber als ich in seine Arme gefallen bin, habe ich gemerkt, wie erschöpft ich bin.“

Soldatin erstellt nach ihrem Einsatz digitale Luftbildkarten für die Flutgebiete

Auch in den Tagen darauf beschäftigt sie sich noch mit der Flutkatastrophe. Sie arbeitet bei der Bundeswehr als Hauptfeldwebel im Zentrum für Geoinformationswesen. Bedeutet, sie erstellt aus digitalen Daten passende Karten für Einsätze – und bei der Flutkatastrophe 2021 wurden Luftbildkarten von den überschwemmten Gebieten benötigt.

Jennifer Monzel bei ihrer Arbeit bei der Bundeswehr: Als Hauptfeldwebel im Geoinformationswesen erstellt sie Lagepläne und digitale Karten für die individuellen Erfordernisse der Bundeswehr.
Jennifer Monzel bei ihrer Arbeit bei der Bundeswehr: Als Hauptfeldwebel im Geoinformationswesen erstellt sie Lagepläne und digitale Karten für die individuellen Erfordernisse der Bundeswehr. © Unbekannt | Bundeswehr

Dass sie für ihren Einsatz zwei Jahre später die Rettungsmedaille bekommt, überrascht sie. Wüst betont bei der Verleihung am Mittwoch immer wieder, dass alle 18 Retter ihr eigenes Leben riskiert haben, um andere zu retten. Monzel sagt, sie habe „ja einfach nur gehandelt“. Als sie die Auszeichnung entgegennimmt, huscht ihr ein kleines Lächeln über das Gesicht.

Ihr Partner und ihre Mutter beobachten sie von einem feierlich gedeckten Tisch in der Staatskanzlei aus. Das Strahlen der beiden ist hingegen kaum zu übersehen. Monzel erklärt später: „Die beiden haben eine Wette am Laufen, wer stolzer auf mich ist.“

18 Menschen wurden mit der Rettungsmedaille geehrt – eine seltene Auszeichnung

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst hat insgesamt 18 Frauen und Männern am Mittwoch die Rettungsmedaille des Landes NRW verliehen. Seit 1951 wurde sie insgesamt 1373 Mal vergeben.

18 Menschen wurden am Mittwoch, den 5. Juli 2023, von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, M) mit der Rettungsmedaille des Landes NRW ausgezeichnet. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens bei der Hochwasserkatastrophe am 14. und 15. Juli 2021 andere Menschen aus lebensbedrohlichen Notlagen gerettet.
18 Menschen wurden am Mittwoch, den 5. Juli 2023, von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU, M) mit der Rettungsmedaille des Landes NRW ausgezeichnet. Sie haben unter Einsatz ihres eigenen Lebens bei der Hochwasserkatastrophe am 14. und 15. Juli 2021 andere Menschen aus lebensbedrohlichen Notlagen gerettet. © dpa | David Young

Wüst sagte: „Stellvertretend für viele andere zeichnen wir 18 Menschen aus, die in der Flut ihr eigenes Leben riskiert und das ihrer Mitmenschen gerettet haben. Sie haben in dramatischen Situationen ihre eigenen Ängste überwunden – mit dieser Entschlossenheit und Stärke sind sie Vorbilder für uns alle.“