Düsseldorf. Seit eineinhalb Jahren ist die A45 bei Lüdenscheid gesperrt. Montag beginnt ein U-Ausschuss mit der Aufklärung: Erste Zeugen sagen aus.

Das Problem kennt ganz NRW, und das Sauerland leidet besonders darunter: Seit der Vollsperrung der maroden und inzwischen gesprengten A45-Talbrücke Rahmede im Dezember 2021 stecken Lüdenscheid und die Umgebung dieser Stadt im Verkehrschaos. Wie konnte das geschehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich im Landtag seit Anfang Mai ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA), der an diesem Montag mit der Zeugenbefragung, also mit seiner eigentlichen Aufklärungsarbeit beginnt.

Warum gibt es diesen Ausschuss?

Der U-Ausschuss „Brückendesaster und Infrastrukturstau“ wurde auf Antrag von SPD und FDP eingesetzt. Er soll unter anderem die Frage klären, warum die Sanierung oder der Neubau einer 450 Meter langen Autobahnbrücke so lange verschoben wurde, bis der Einsturz drohte. Schon 2014, also in der Regierungszeit von SPD und Grünen, wurde entschieden, die Rahmedetalbrücke nicht zu sanieren, sondern auf einen Neubau zu warten. Dieser Neubau sollte 2019 beginnen, wurde dann jedoch verschoben, und in dieser Zeit war der heutige NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) Verkehrsminister.

Die Opposition dürfte also besonders Wüsts Rolle unter die Lupe nehmen. Der CDU-Politiker bestreitet persönliche Versäumnisse aus seiner Ministerzeit. Die Entscheidungen seien stets von Fachleuten in der Verwaltung getroffen worden. Heute wissen wir: Es waren Fehlentscheidungen.

Geht es nur um die Rahmedetalbrücke?

Nein. Der Ausschuss beschäftigt sich mit dem Zustand der Brücken in NRW insgesamt, und der ist besorgniserregend. „NRW ist ein Hotspot in Bezug auf sanierungsbedürfte Autobahnbrücken“, schrieb NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) vor wenigen Wochen in einem Brief an Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).

Krischer hält Wissing vor, dass es ihm nicht gelinge, Autobahnbrücken zügig zu sanieren. In der Zuständigkeit der Autobahn GmbH des Bundes seien 873 Brücken in NRW, die in den kommenden zehn Jahren saniert werden müssten. 2021 seien aber nur 31 und im Jahr 2022 nur 43 saniert worden.

Die Ergebnisse einer Studie, die die Industrie- und Handelskammern am Rhein in Auftrag gegeben hatten, lassen befürchten, dass „Rahmede“ überall sein könnte. Allein rund 1000 Brücken im Rheinland seien überlastet und könnten dem Verkehr langfristig nicht mehr standhalten, warnte der Präsident der Niederrheinischen Industrie- und Handelskammer (IHK), Werner Schaurte-Küppers, im Mai. Der Zustand der Querungen sei „desaströs“.

Wenn es gut läuft, dann könnte dieser Ausschuss also wichtige Erkenntnisse liefern über die künftige Planung und die Pflege von Brücken und Straßen.

Wird Hendrik Wüst persönlich aussagen müssen?

Das gilt als sicher, und vermutlich wird ihn der Ausschuss sogar mehrfach zur Aussage zitieren.

Welche Zeugen werden zuerst vernommen?

Die Vernehmung startet am Montag mit der Befragung von drei Professoren: Matthias Kraus (Experte für Stahlbau), Gero Marzahn (Experte für den Erhalt von Brücken) und Reinhard Maurer (Betonbau- und Statik-Experte).

Wer leitet den Ausschuss?

Zum ersten Mal in NRW ein Grünen-Politiker: Stefan Engstfeld (53), Landtagsabgeordneter aus Düsseldorf. Er verspricht, dass in diesem PUA niemand befürchten müsse, „vorgeführt“ zu werden. Engstfeld bittet die Mitglieder auch darum, die Kosten im Blick zu haben. Ein Untersuchungsausschuss kostet nämlich rund eine Million Euro pro Jahr.

Was ist ein U-Ausschuss?

Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA) gilt als „schärfstes Schwert“ des Parlaments und insbesondere der Oppositionsfraktionen. Sie nutzen ihn nicht nur zur Aufklärung, sondern auch als politisches Kampfinstrument. Ein PUA hat gerichtsähnliche Befugnisse wie die Akteneinsicht und die Zeugenvernehmung. Bei Falschaussagen drohen empfindliche Strafen bis hin zu Haft. Zeugen können sich von einer Anwältin oder einem Anwalt unterstützen lassen. Ein PUA verkündet aber kein Urteil. Die Erkenntnisse werden zum Schluss in einem Bericht zusammengefasst. Spätestens zum Ende einer Legislaturperiode endet ein U-Ausschuss. Ein neuer Landtag kann aber einen neuen PUA einsetzen, der die Arbeit des Vorgängers fortsetzt.

Über U-Ausschüsse sind schon Ministerinnen und Minister gestolpert. In der vergangenen Legislaturperiode traf es die Umweltministerinnen Christina Schulze Föcking und Ursula Heinen-Esser (beide CDU).  Der U-Ausschuss zur Aufarbeitung der Kölner Silvesternacht 2015 setzte die frühere NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und ihren Innenminister Ralf Jäger (beide SPD) massiv unter Druck.

Derzeit arbeiten im Landtag zwei weitere U-Ausschüsse. Einer beschäftigt sich mit den Fällen von Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz bei Lügde, der zweite mit der Aufarbeitung der Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021.