Berlin. Das Verfassungsgericht hat die Möglichkeiten von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten zu “Deals“ in Strafprozessen eingeschränkt. Solche Verhandlungen sind künftig nur im Rahmen des dafür vorgesehenen Gesetzes erlaubt. Diese Regeln seien keine “Einladung zum Handel mit der Gerechtigkeit“.

Die in Strafprozessen häufig getroffenen
informellen Absprachen verstoßen gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht untersagte in einem am Dienstag
verkündeten Urteil sogenannte Deals zwischen Anklage, Verteidigung und Gericht
außerhalb des dafür vorgesehenen Gesetzes. Absprachen innerhalb dieser
Vorschriften bleiben hingegen erlaubt. Allerdings muss der Gesetzgeber
fortlaufend ihre Einhaltung kontrollieren. Denn die Regeln für Deals seien keine
"Einladung zum Handel mit der Gerechtigkeit". (Az.: 2 BvR 2628/10)

Absprachen sind eine gängige Praxis in den deutschen Gerichten -
formell und informell. Vor allem in Wirtschafts- und Drogenprozessen kommen sie
häufig vor, um langwierige Prozesse zu vermeiden. Nach einer in der Verhandlung
vorgestellten Studie des Düsseldorfer Kriminologen Karsten Altenhain sprechen
über die Hälfte der Richter ihre Deals überwiegend informell ab, um etwa ein
Protokoll zu umgehen. Die oft falschen Geständnisse würden nicht überprüft und
verbotene Straferlasse versprochen.

Rüge für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte

Solche informellen Deals verstoßen den obersten Richtern zufolge aber
gegen das Grundgesetz. Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle rügte, Richter,
Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssten im Alltag dafür Sorge tragen, dass die
verfassungsrechtlich verbürgten Grundsätze des Strafverfahrens nicht durch
allgemeine Praktikabilitätserwägungen überspielt würden: "Auch wenn dies im
Einzelfall viel Aufwand und Mühe kostet." Der Gesetzgeber müsse die Entwicklung
sorgfältig im Auge behalten und handeln, wenn sich die Gerichte in der Praxis
weiter in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen für Absprachen
hinwegsetzten.

Zwanzig Prozent der Strafverfahren bei Amts- und Landgerichten werden
Altenhain zufolge mit einem Deal beendet. Ein Angeklagter legt demnach ein
Geständnis ab und bekommt der Umfrage zufolge dafür eine bis zu 30 Prozent
mildere Strafe. Konkret musste das oberste deutsche Gericht über drei
Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen entscheiden, die per Deals zustande
gekommen waren. Der Zweite Senat hob die Urteile auf und verwies die Fälle
zurück an die jeweiligen Vorinstanzen.

Gesetzliche Regelung ist für viele praxisfern

Der Bundesgerichtshof hatte Absprachen 1997 grundsätzlich gebilligt,
seit 2009 sind sie im Verständigungsgesetz geregelt. Die Vorschrift ist in den
Augen von zwei Drittel der in der Studie befragten Juristen allerdings nicht
praxistauglich. Generalbundesanwalt Harald Range und BGH-Präsident Klaus
Tolksdorf hatten vor dem Bundesverfassungsgericht
Deals als äußerst kritisch bewertet. Bundesjustizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hatte sich nach der Verhandlung betroffen über
die Studienergebnisse Altenhains gezeigt.

Voßkuhle unterstrich, dass Deals innerhalb der Vorschriften des
Verständigungsgesetzes weiter möglich seien. Die den Strafprozess dominierenden
Grundsätze der richterlichen Sachverhaltsaufklärung und Überzeugungsbildung
sollten dabei aber nicht angetastet werden. Dagegen seien insbesondere
informelle "Gesamtlösungen" verboten, bei denen die Staatsanwaltschaft die
Einstellung anderer Verfahren zusagt.

Deutscher Anwaltverein begrüßt Entscheidung

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßt die Entscheidung. Zu den
wichtigsten Maximen des Strafprozesses gehörten die Pflicht zur Aufklärung des
Sachverhalts und der Anspruch des Angeklagten auf Freispruch, wenn die Schuld
nicht zweifelsfrei bewiesen ist. Beides dürfe nicht zur Disposition gestellt und
zum Gegenstand von abweichenden Vereinbarungen der Beteiligten gemacht
werden. (rtr)