Berlin..
Der Protestant Volker Kauder behalf sich mit einer Anleihe bei den Katholiken. „Zuviel Weihrauch“, sagte er, „schwärzt den Heiligen.“ Damit gab der Unions-Fraktionschef den Ton für seine Abgeordneten vor. Sie würden die Kritik aushalten, die der Schriftsteller Navid Kermani soeben im Bundestag zum 65. Jahrestag des Grundgesetzes geübt hatte. Kermani wünschte sich, dass es bis zum 70. Geburtstag von einem „hässlichen, herzlosen Fleck“ gereinigt werde.
Gemeint war die Totalkorrektur des Asylrechts aus dem Jahr 1993. 275 Wörter, wüst aufeinander gestapelt, fest einander verschachtelt, um eines zu verbergen: „Dass Deutschland das Asyl als ein Grundrecht praktisch abgeschafft hat“. Meinte Kermani.
Kauder sieht es ein wenig anders, und seine Partei führte das Messer bei der „Entstellung des Artikels 16“ (Kermani). Kauder holte nicht zur Gegenrede aus. „Vielen Dank, vieles teile ich, manches auch nicht.“ Dabei beließ er es, und das ist gut so, denn Kermani hat das Haus beeindruckt. Es gab Lob, manche wirkten ergriffen (Peer Steinbrück), die ungeteilte Aufmerksamkeit des Kabinetts war ihm sicher. Generell gilt die Feier als geglückt, auch, weil man was Neues ausprobiert hat. Nach Kermani kam aus jeder Fraktion noch je ein Redner zu Wort, was Thomas Oppermann (SPD) als „lebendig“ empfand.
Inzwischen doppelt so lang
Bundestagspräsident Nobert Lammert die 90-minütige Zeremonie eröffnet. Erst mal stellte der 65-Jährige fest, dass 65 „längst kein besonderes Alter“ sei. Danach fand er sogar lobende Worte für das Verfassungsgericht, über das er sonst knurrt, nicht zuletzt übte er Selbstkritik, weil das Parlament den einst schlanken Text so oft verändert hat. Die Verfassung sei nahezu doppelt so lange wie der Urtext, „aber nicht unbedingt besser geworden“, bedauerte Lammert.
Er erinnerte daran, dass Deutschland ethnisch, kulturell und auch religiös vielfältiger geworden sei, womit er zum Festredner überging, dessen Eltern aus dem Iran kamen.
Mit dem Grundgesetz haben sich schon viele auseinandergesetzt, historisch, politisch, juristisch. Seine literarische Qualität wurde selten gewürdigt. Für Kermani ist es ein „bemerkenswert schöner Text“. Dazu zählt er zum Beispiel den Satz „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“, was 1949 etwas „Luftiges“ gewesen sei, als die Städte in Trümmern lagen, die Menschen ums Überleben kämpften.
Die Verfassung hat auf ihn Eindruck gemacht, noch stärker Willy Brandt mit seinem Kniefall in Warschau; für Kermani war es die Geste, mit der Deutschland nach dem Völkermord seine Würde wiedererlangt habe. Kermani hat viel gelobt, zuletzt auch die „grandiose Integrationsleistung“. Stellvertretend für seine Eltern, für die Gastarbeitergeneration, musste er es nur noch anerkennen. Er tat es gestern vor dem Bundestag. Sagte einfach: „Danke, Deutschland.“