Essen.

Die Justiz in Nordrhein-Westfalen hat die Freilassung von sicherungsverwahrten Gewalttätern vorerst gestoppt. Die Oberlandesgerichte Köln und Hamm legen die Fälle dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vor. Bislang sind in NRW drei Täter freigelassen worden.

Der Streit um die Freilassungen wird seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mit harten Bandagen geführt. Das Straßburger Gericht hatte festgestellt, dass die nachträgliche Anordnung einer unbegrenzten Sicherungsverwahrung in Deutschland den Menschenrechten widerspricht. Die Frage, ob sein Urteil zur Entlassung von mehreren hundert als gefährlich geltenden Sicherungsverwahrten führen muss, hat zu einem ernsten Konflikt zwischen der Bundesregierung und der Justiz geführt.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) setzt die Richter unter Druck, Täter sofort freizulassen. Auf der Internetseite ihres Ministeriums heißt es: „Deutsche Gerichte müssen das Urteil beachten und umsetzen.“ Wie unsere Zeitung erfuhr, fordert sie in einem 17-seitigen Schreiben die Oberlandesgerichte auf, Freigelassenen für jeden Tag Verwahrung ab dem 10. Mai 2010 finanzielle Entschädigungen zuzubilligen.

Diese Forderung hat den Unmut der Richter verstärkt. Außerdem halten fünf von sieben Oberlandesgerichten Freilassungen für falsch. Sie verweigern sie, weil sie fürchten, dass die Entlassenen wieder morden und vergewaltigen. Die OLG Köln und Nürnberg betonen, der Staat habe „die Aufgabe, die Grundrechte potenzieller Opfer vor Verletzungen durch potenzielle Straftäter zu schützen“.

Auch das Bundesverfassungsgericht geht zum Straßburger Urteil auf Distanz. „Es ist nicht unsere Auffassung von Rechtsstaat, jetzt alle Sicherungsverwahrte mit einem Machtspruch in die Freiheit zu entlassen“, sagt Verfassungsrichter Herbert Landau. Es bezweifelt die direkte Wirksamkeit in Deutschland. „Rechtsfragen, die das Urteil aufwirft“, will Karlsruhe in einem Hauptsacheverfahren abschließend klären.