Berlin. Joachim Gauck bringt viel Glaubwürdigkeit mit in sein neues Amt: Als Bürgerrechtler hat “der konservative Sozialdemokrat“ in der DDR bereits eine Beharrlichkeit entwickelt, die ihn auch in der Aufarbeitung des Stasi-Unrechts auszeichnete. In Schubladen passte er nie.
Auch knapp zwei Jahre nach seiner gescheiterten Bewerbung für das Amt des Bundespräsidenten hat der "Kandidat der Herzen" nicht an Beliebtheit eingebüßt: Erst am Sonntag zeigte eine Umfrage, dass die klare Mehrheit der Bundesbürger in Joachim Gauck ein würdiges Staatsoberhaupt sieht. An dem früheren DDR-Bürgerrechtler und parteilosen Theologe konnte nach dem Abtritt von Christian Wulff nun auch die Union nicht mehr vorbei.
Mit Gaucks Nominierung geht nun indirekt das Eingeständnis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einher, im Juni 2010 einen Fehler begangen zu haben. Damals war Gauck als Kandidat von SPD und Grünen knapp im dritten Wahlgang an der schwarz-gelben Mehrheit in der Bundesversammlung und an Merkels Wunsch gescheitert, Wulff durchzusetzen.
Als Gauck, der sich selbst als "konservativen Sozialdemokraten" bezeichnet, nun mit der Möglichkeit konfrontiert wurde, erneut zu kandidieren, gab er sich betont zurückhaltend. "Ich bin ein glücklicher beschäftigter Mensch", sagte 72-Jährige nach einer Lesung aus seiner Autobiografie "Winter im Sommer - Frühling im Herbst" am Freitagabend in Koblenz.
Das wunderbare Glück der friedlichen Revolution
"Ich habe in meinem Leben Ereignisse erlebt, die lange als unwahrscheinlich galten", hatte Gauck bei seinem ersten Anlauf für das Präsidentenamt gesagt. Den Sturz des DDR-Regimes und die Wendezeit nennt er die "prägende Zeit meines Lebens". Gauck spricht vom "wunderbaren Glück, Teilnehmer einer Freiheitsrevolution" gewesen zu sein. Sein neues Buch, das in diesen Tagen erscheint, trägt den Titel "Freiheit. Ein Plädoyer".
Das Thema Freiheit ist sein steter Begleiter, auch, nachdem im Jahr 2000 seine Amtszeit als Stasiakten-Beauftragter endete. Seitdem ist er in ganz Deutschland unterwegs, um bei Vorträgen oder in Schulen Menschen zu ermutigen - damit sie nicht in Bequemlichkeit verfallen und sich engagieren. "Im Miteinander von Ermutigten sehe ich die Zukunftsperspektiven für mein Land", sagte Gauck 2010 bei seiner Vorstellung als Kandidat.
Eigentlich ist auch Merkel ein Fan
"Joachim Gauck hat sich in herausragender, unverwechselbarer Weise um unser Land verdient gemacht, als Bürgerrechtler, politischer Aufklärer, Freiheitsdenker, als Versöhner und Einheitsstifter, Joachim Gauck ist Mahner und richtiger Demokratielehrer" - so hatte sich Bundeskanzlerin Merkel einmal in einer Rede geäußert.
Der Lebensweg des am 24. Januar 1940 in Rostock geborenen Theologen ist von den Machenschaften der Stasi geprägt. Eigentlich wollte der Kapitänssohn in der DDR eigentlich Journalist werden, erhielt aber keinen Studienplatz für Germanistik. Kein Wunder, hatte er sich doch der Pionierorganisation ebenso verweigert wie der Jugendorganisation "Freie Deutsche Jugend". Also studierte er nach dem Abitur evangelische Theologie und wurde Pfarrer. Als evangelischer Pfarrer musste er dann mit ansehen, wie der Geheimdienst einige junge Leute aus seiner Rostocker Kirchengemeinde monatelang ins Gefängnis steckte, nur weil sie regimekritische Parolen an eine Wand gesprüht hatten. In der Wendezeit widmete er sich ganz der Aufarbeitung des Stasi-Erbes: Als Vorsitzender des Sonderausschusses zur Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR-Volkskammer schmiedete Gauck im Sommer 1990 eine breite Koalition für ein Gesetz zur Öffnung der Stasi-Akten.
Am Tag der Wiedervereinigung, dem 3. Oktober 1990, übernahm Gauck dann die Leitung der bald nach ihm benannten Behörde. So wurde er zum prominentesten Gesicht der einstigen DDR-Bürgerbewegung. Es war vor allem Gauck, der beständig vor einem Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dem Stasi-Erbe warnte - und damit fast zu einer moralischen Instanz wurde.
Auf zum zweiten Anlauf im Schloss Bellevue
Nach zwei fünfjährigen Amtszeiten gab Gauck 2000 sein Amt ab, doch er zog sich keineswegs aus der Öffentlichkeit zurück. 2001 versuchte er sich als Fernsehmoderator mit der Talkshow "Gauck trifft...". Im November 2003 wurde er schließlich Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen - für Demokratie. Die Organisation setzt sich ein für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus und der DDR-Vergangenheit.
Die Vermittlung substanzieller Werte sei eine Aufgabe, "die ich ohne jedes Amt fortwährend ausübe", sagte Gauck einmal. Nach dem Abgang Wulffs kann er nun im zweiten Anlauf zur Ausübung dieser Aufgabe ins Schloss Bellevue wechseln. (dapd)