London. Premier David Cameron hat die Geisel-Krise in Algerien zum Anlass genommen, seine für Freitag in Amsterdam geplante EU-Grundsatzrede erneut zu verschieben. Was er sagen wollte, verteilen die Spin-Doktoren der Downing Street dennoch an ausgewählte Journalisten. Panne oder gezielte Indiskretion?

Seit über sechs Wochen verspricht Cameron den Briten eine Neu-Definition der EU-Mitgliedschaft, drei Mal hat er die Rede zu den heiklen Details dieser Loslösung nun schon verschoben - Zeit, in der die hitzig geführte Debatte überraschend einen neuen Kurs eingeschlagen hat. Die wichtigsten Unternehmer des Landes werfen den Hardlinern der konservativen Regierungspartei vor, Großbritannien mit ihrer EU-Kritik „wirtschaftlich zu isolieren“. Auch US-Präsident Barack Obama hat sich erneut in die Diskussion eingeschaltet. „Großbritannien muss Teil der EU bleiben“, appellierte er an Cameron, „ein starkes Königreich in einem starken Europa fördert den Frieden, die Sicherheit und den Wohlstand eines ganzen Kontinents.“

Großbritanniens Premierminister Cameron befürchtet ein Auseinanderdriften der Europäischen Union. Das geht aus einem Manuskript hervor, das die Downing Street am Donnerstag ausgewählten britischen Journalisten ausgehändigt hatte - bevor dann die für Freitag angekündigte Rede abgesagt wurde. Cameron hatte sich wegen der Geiselkrise in Algerien entschieden, die Rede nicht zu halten. Unter den Geiseln auf einem Gasfeld in der Sahara sind auch britische Staatsbürger.

Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern werde größer

In dem Manuskript, kommt Cameron nach Darstellung britischer Medien zu dem Schluss, dass "die Kluft zwischen der EU und ihren Bürgern" dramatisch gewachsen" ist. "Der Mangel an demokratischer Verantwortlichkeit wird besonders akut in Großbritannien gespürt", zitiert die BBC aus dem Manuskript. Wenn wir diese Herausforderungen nicht angehen, dann besteht die Gefahr, dass Europa scheitern wird und das britische Volk dem Austritt entgegendriftet". Dies wolle er nicht, heißt es in dem Entwurf Camerons. Im Gegenteil: Er wolle, dass die EU erfolgreich sei.

Im Vorfeld hatte Cameron mehrfach auf das Ziel Großbritanniens hingewiesen, Zuständigkeiten aus Brüssel nach London zurückzuholen. Damit kommt er Forderungen vom rechten Flügel seiner Partei entgegen. Den Euroskeptikern in Großbritannien geht es vor allem um die Finanzmarktregulierung, wodurch sie Gefahren für die Londoner City sehen, sowie um Regulierungen beim Arbeits- und Sozialrecht sowie in der Fischerei.

Der Chef der Gruppe der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, sprach sich gegen ein "Rosinenpicken" einzelner EU-Staaten aus. Er wolle, dass Großbritannien in der EU bleibe. Er werde mit Großbritannien auch die Debatte über einzelne Fragen führen, sagte Juncker. Es dürfe aber nicht der Eindruck entstehen, dass einzelne Staaten in der EU "ihr eigenes nationales Ding" machten.

Weniger Unterstützer für EU-Komplettausstieg

Die Variante eines EU-Komplettausstiegs, lange klarer Favorit der Briten, verliert unterdessen immer mehr Unterstützer: Jeder Zweite befürwortet mittlerweile einen Verbleib in der EU, sofern Großbritannien sich einzelne Kompetenzen zurückholen darf. „Ein Austritt ist unnötig, unwahrscheinlich und nicht wünschenswert“, schaltete sich auch der populäre Londoner Tory-Bürgermeister Boris Johnson in die Diskussion ein. Zwei Drittel der jungen  Briten zwischen 18 und 34 Jahren würden nach einer aktuellen Erhebung der Friedrich-Ebert-Stiftung sogar bedingungslos für die weitere EU-Mitgliedschaft stimmen.

Ein neuer Termin für die Grundsatzrede soll Ende nächster Woche bekanntgegeben werden. Unklar ist, ob er sich in Amsterdam an das Manuskript gehalten hätte und ob er bei einem etwaigen Ersatztermin ähnliche Worte wählen wird. (mit dpa)