Düsseldorf. Grünen-Landeschef Felix Banaszak (32) sagt im Interview, die neue Bundesregierung habe keine Schonfrist. Es gehe direkt in die Vollen.

Düsseldorf. Felix Banaszak aus Duisburg ist seit 2018 NRW-Co-Vorsitzender der Grünen und frisch gewählter Bundestagsabgeordneter. Für die „Ampel“ hat der 32-Jährige in der Arbeitsgruppe Bildung mit verhandelt. Das Ruhrgebiet werde vom neuen Koalitionsvertrag profitieren, erzählt der Politiker im Gespräch mit Matthias Korfmann

Herr Banaszak, hat die Ampel einen Mehrwert fürs Ruhrgebiet?

Banaszak: Auf jeden Fall, gerade im sozialen Bereich. Mit der Kindergrundsicherung leiten wir einen echten Paradigmenwechsel ein. Und in benachteiligten Quartieren erhalten Schulen insgesamt mehr Förderung, es wird mehr Mittel für Schulsozialarbeiter geben, Schulbudgets und Geld für die Sanierung der Schulgebäude. Wir sorgen dafür, dass die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket viele Kinder in ärmeren Familien endlich erreichen. Auch durch die geplanten Investitionen in den klimaneutralen Umbau der Industrie über Klimaverträge und den Aufbau einer breit angelegten Wasserstoff-Infrastruktur profitiert das Ruhrgebiet enorm. Da ist einiges drin.

Ist eine Lösung für die Altschulden der Städte in Sicht? 

Banaszak: Handlungsfähige Städte und Gemeinden sind ein elementarer Bestandteil unserer Demokratie. Deshalb haben wir uns intensiv damit auseinandergesetzt und sind uns einig, dass finanzschwache Kommunen vom Bund besser unterstützt werden müssen, zum Beispiel durch eine bessere Beratung bei der Inanspruchnahme von Förderprogrammen und dem Abbau von Hürden beim Mittelabruf. Die Frage der Altschuldenproblematik werden wir im Rahmen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beraten. Wir Grüne würden an diesem Punkt gerne einen großen Wurf landen. Dafür braucht es dann vermutlich auch neue Mehrheiten im Land.

Sie haben für gute Bildung mit verhandelt. Was wurde erreicht?

Banaszak: Es wird unter anderem eine große Bafög-Reform geben: Absehbar werden, vereinfacht gesagt, fast doppelt so viele Studierende wie bisher Anspruch auf Bafög haben, und das zu besseren Konditionen. Das Verschuldungsrisiko, das viele Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien vom Studium abhält, wird massiv sinken. Wir legen auch einen neuen, verbesserten Digitalpakt für Schulen auf. Wir werden das Gute-Kita-Gesetz fortschreiben und dafür sorgen, dass sich mehr Erzieherinnen und Erzieher um die Kinder kümmern können.

Gerät die NRW-Regierung durch die Ampel unter Druck?

Banaszak: Ja, sie wird an einigen Stellen handeln müssen. Zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Hier liegt NRW weit hinter dem Bundesdurchschnitt. Künftig sind zwei Prozent der Landesfläche für Windenergie zu reservieren, derzeit sind es nur 0,64 Prozent. Ich bin gespannt, wie die Landesregierung das mit der von ihr beschlossenen Abstandregelung von 1000 Metern vereinbaren will. Gut, dass eine neue Landesregierung dieses unsinnige Gesetz nach der Wahl zurücknehmen wird. 

Werden die Grünen-Mitglieder den Koalitionsvertrag akzeptieren?

Banaszak: Der Vertrag ist in wichtigen Teilen mit grüner Handschrift geschrieben und markiert insbesondere klimapolitisch einen echten Aufbruch. Wir legen die Grundlage für einen Kohleausstieg bis 2030. Das bedeutet nicht nur, dass wir die Pariser Klimaziele einhalten können, sondern auch, dass wir die Dörfer im Rheinischen Revier retten. Außerdem muss jedes neue Gesetz künftig einem Klimacheck unterzogen werden. Es gibt noch viele weitere gute Gründe, diesem Vertrag zuzustimmen. Dafür werde ich werben.

Zwischen Grünen und FDP gab es im Wahlkampf viel Reibung. In ihrer Ampel-Arbeitsgruppe saß auch NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), der sie in der Pandemie Arbeits- und Realitätsverweigerung vorgeworfen haben. Passt das zusammen?

Banaszak: Das werfe ich Frau Gebauer immer noch vor. Wir haben aber die Landespolitik ausgeklammert. Die Arbeit in unserer Verhandlungsgruppe war konzentriert und von Respekt geprägt. Alle hatten ein gemeinsames Ziel: mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen.

Haben Sie keine Angst, dass Sie die Klima-Aktivisten, zum Beispiel von Fridays for Future, enttäuschen, weil sie in der Ampel Kompromisse eingehen?

Banaszak: Kompromisse gehören zur Demokratie. Ohne Kompromisse geht es nicht – von allen Seiten übrigens.

Aber haben die 17-Jährige Schülerin, der 20-Jährige Student, die für Klimaschutz auf die Straße gehen, dafür Verständnis?

Banaszak: Der Koalitionsvertrag ist gerade beim Klimaschutz ein riesiger Schritt nach vorne. Diese Regierung bringt Deutschland auf den 1,5 Grad-Pfad. Das ist klimapolitisch ein echter Durchbruch. Fridays for Future ist keine grüne Vorfeldorganisation. Sie machen uns Druck, das ist völlig in Ordnung und das sollen sie auch weiter tun. 

Zuletzt demonstrierte in NRW der Landesverband Erneuerbare Energien gegen den Naturschutzbund Nabu. Bekommt die heile grüne Welt Risse?

Banaszak: Es gab nie eine heile grüne Welt. Wir haben uns immer im Spannungsfeld widerstreitender Interessen bewegt. Und Konflikte lassen sich nicht vermeiden, es können sogar mehr werden. Eine klimaschützende Industriepolitik zum Beispiel benötigt eine Wasserstoff-Infrastruktur, also Pipelines. Das kann hier und da mit dem Umwelt- und Artenschutz oder anderen berechtigten Interessen kollidieren. Unsere Aufgabe ist es, zu vermitteln und die beste Lösung zu finden. Daher ist es gut, dass die Grünen im Bund für Klima, Umwelt, Energie und Landwirtschaft zuständig sind.

Ist die Ampel ein Vorbild für NRW?

Banaszak: Dreierbündnisse sind immer schwierig. Einen Automatismus für NRW sehe ich nicht. Wir Grüne werden in NRW auch keinen Koalitionswahlkampf führen. Eines finde ich aber gut: Es wurde lange ausschließlich über schwarz-grüne Bündnisse geredet. Die Entwicklung im Bund zeigt jetzt aber, dass die Union kein Abo auf ein Bündnis mit uns oder auf eine Regierungsbeteiligung grundsätzlich hat – auch in NRW nicht.

Befürchten Sie, dass sich die Grünen im Bund bis zur NRW-Landtagswahl entzaubern?

Banaszak: Wir stehen jetzt in der Verantwortung und müssen gut regieren. Daran werden Grüne, FDP und SPD auch in NRW im Mai 2022 gemessen werden. Wir müssen aufholen, was vorherige Regierungen jahrelang versäumt haben. Diese Bundesregierung hat keine Schonfrist, keine 100-Tage zum Warmlaufen. Es geht direkt in die Vollen.

Die FDP hat über die ganze Pandemie hinweg auf Lockerungen gedrungen und Sie auf Vorsicht. Kann man mit diesem Partner den Kampf gegen Corona gewinnen?

Banaszak: Es muss gelingen, und da muss sich die FDP bewegen. Beim Thema Impfpflicht macht sie das gerade ja auch und das Infektionsschutzgesetz im Bund ist wesentlich robuster, als die FDP es gerne gehabt hätte. Ich erinnere aber gerne daran, dass NRW-FDP-Chef Joachim Stamp schon zum 3. Oktober mit einer Art Freedom-Day die Pandemie für beendet erklären wollte. Halleluja! Gut, dass man nicht auf ihn gehört hat.

Warum traut sich die Grünen-Spitzenkandidatin für NRW, Mona Neubaur, nicht, zu sagen, dass sie Ministerpräsidentin werden möchte?

Banaszak: Wer große Ziele hat, und die haben wir, der spielt nicht auf Platz zwei oder drei. Aber ich bin bei Mona Neubaur, wenn sie sagt: Ein Sessel in der Staatskanzlei ist kein Selbstzweck. Thomas Kutschatys (SPD) zentrale Botschaft ist, dass er Ministerpräsident werden will. Wir wollen gute Politik machen und das Leben im Hier, Heute und Morgen verbessern. Klar sind Grüne bereit, Verantwortung zu übernehmen – und zwar mit Mona Neubaur an der Spitze. Wir behalten uns vor, unsere Ziele bis Mai auch noch nachzuschärfen.