Essen. Im Ruhrgebiet leben sehr viele Kinder in ärmeren Familien. Die Parteien streben nach einer neuen Grundsicherung und steuerlichen Entlastungen.
Es ist eines der drängendsten Probleme des Ruhrgebiets: In kaum einer Region sind so viele Kinder und Jugendliche von Armut betroffen oder bedroht wie in den Städten zwischen Rhein und Ruhr. Das zeigt ein Blick in die Hartz-IV-Statistik der Bundesagentur für Arbeit: In Städten wie Essen, Herne oder Hagen leben um die 30 Prozent der Kinder in Familien, die Hartz IV beziehen. Gelsenkirchen führt die Statistik mit fast 40 Prozent an. Dabei ballt sich die Armut oft in einzelnen Stadtteilen mit langfristigen Folgen.
In den Programmen der Parteien finden sich in den Kapiteln zu familienpolitischen Plänen vor allem zwei Konzepte zur Stärkung von Kindern: die Kindergrundsicherung und steuerliche Erleichterungen für Familien.
SPD, Linke und Grüne: Grundsicherung
Antje Funcke von der Bertelsmann-Stiftung sagt, die Vielfalt der staatlichen Leistungen für sozial benachteiligte Familien sei ein Problem. „Eltern haben kaum einen Überblick, was ihren Kindern zusteht, die vielen Anträge sind sehr aufwendig und oft bürokratisch“, so die Fachfrau für Familienpolitik. Das soll eine neue Kindergrundsicherung auflösen: Sie soll Leistungen bündeln und sich am Einkommen der Eltern orientieren.
Die SPD stellt ihr Konzept auf zwei Säulen: eine verbesserte Infrastruktur und ein neues Kindergeld. Letzteres umfasst einen Basisbetrag von rund 250 Euro, der allen Familien zusteht. Für Familien mit kleinem Einkommen soll er mindestens doppelt so hoch ausfallen und im Höchstbetrag das sächliche Existenzminimum inklusive Wohnkostenpauschale sowie Bildungs- und Teilhabekosten enthalten. Das neue Kindergeld würde den Kinderfreibetrag ersetzten. Zugleich sollen Kitas und die Fahrt mit Bus und Bahn für Kinder kostenfrei sein.
Ähnlich ist das Konzept der Grünen: Sie sprechen von einem Garantie-Betrag, der je nach finanzieller Situation der Familie mit einem „GarantiePlus“-Betrag aufgestockt werden soll. Für 2019 haben die Grünen einmal beispielhaft ausgerechnet: Kinder bis fünf Jahre wurden maximal 364 Euro erhalten, Jugendliche bis 17 Jahre erhielten 503 Euro. Anders als beim heutigen Kindergeld soll nur die Hälfte auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet werden, wovon Alleinerziehende profitieren.
Bei den Linkenliegt der Höchstbetrag bei 630 Euro für die ärmsten Kinder, mindestens erhält jede Familie aber 328 Euro – das sind 100 Euro mehr als das aktuelle Kindergeld fürs erste Kind. Auch die Linken wollen kostenfreie Kitas.
Martin Debener, Armutsexperte beim Paritätischen NRW, befürwortet die Kindergrundsicherung seit Langem. Derzeit würden Eltern mit höherem Einkommen durch den Kinderfreibetrag steuerlich stärker entlastet als Kinder aus Hartz-IV-Familien durch das Kindergeld unterstützt werden. Dieser Mechanismus würde aufgehoben. Freie Fahrt in Bus und Bahn für Kinder würde zudem nicht nur mehr Mobilität ermöglichen, sondern auch Bürokratie abbauen, meint er.
Antje Funcke betont, dass die tatsächliche Höhe einer Kindergrundsicherung noch zu bestimmen sei. Die Stiftung fordert selbst eine Art „Teilhabegeld“. Das Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn hat die Parteikonzepte durchgerechnet: Am teuersten würde dem Staat das Linken-Konzept mit rund 40 Milliarden Euro kommen, weil alle Familien von höheren Leistungen profitieren. Mehrkosten für das Konzept der Grüne liegen bei rund 20 Milliarden Euro im Jahr.
FDP: Chancengeld
Die FDP geht nach Einschätzung Funckes einen etwas anderen Weg: Die Liberalen werben für ein „Chancengeld“, in dem sie zwar bisherige kindesbezogene Leistungen bündeln wollen, und ein „Chancenpaket“. „Bei ihnen bleiben die SGB II-Regelbedarfe bestehen“, so Funcke, „Kinder im SGB-II-Bezug bekommen aber zusätzlich das komplette Chancenpaket.“ Das Chancengeld soll einem Bericht zufolge mindestens 200 und maximal 400 Euro umfassen, das Chancengeld soll 50 Euro umfassen und bedürftigen Kindern digital und vereinfacht Zugang zu Bildungs- und Teilhabeangeboten sichern. Das RWI-Leibniz-Institut geht von drei bis vier Milliarden Euro an Mehrkosten aus.
CDU: Steuerliche Entlastung
Die CDU setzt auf Entlastung und verweist im Wahlprogramm auf bisherige Maßnahmen. So seien der Kinderfreibetrag und das Kindergeld deutlich erhöht haben. Perspektivisch strebe die Partei den vollen Grundfreibetrag für Kinder an und finden damit den Einstieg in ein Kindersplitting, heißt es im Wahlprogramm. Der steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende soll perspektivisch auf 5.000 Euro erhöht werden. Letzteres befürwortet Antje Funcke: „Alleinerziehende sind besonders von Armut betroffen, durch den bisherigen Entlastungsbetrag werden sie steuerlich aber stärker belastet als Zwei-Eltern-Familien“, sagt die Volkswirtin. Zu den weiteren Plänen der CDU gehört auch eine Einmalzahlung von 100 Euro an Kinder aus Familien mit geringerem Einkommen oder im Hartz-IV-Bezug.
AfD will Familien entlasten
Die AfD findet Steuern und Abgaben für Familien zu hoch. Die Partei will Familien steuerlich entlasten durch ein Familiensplitting, eine Anhebung des Kinderfreibetrages und eine vollständige steuerliche Absetzbarkeit von Ausgaben für die Kinder.
Ohne Bezug zum AfD-Programm kritisieren die Experten im Grundsatz, dass steuerliche Entlastungen im Kampf gegen Kinderarmut wenig anrichten würden. „Steuerliche Entlastungen kommen denen zugute, die Steuern zahlen“, sagt Martin Debener.