Essen. Hohe Ausgaben und gesetzliche Vorgaben machen den Krankenkassen Sorgen. Viactiv-Chef Brücker sieht die Politik in der Pflicht
Erst zum Jahreswechsel kam die jüngste Erhöhung: 31 der 76 allgemein zugänglichen gesetzlichen Krankenkassen haben im Januar ihren kassenindividuellen Zusatzbeitrag erhöht. Über 48 Millionen Versicherte in Deutschland sind von dem Plus betroffen. Und damit könnte noch nicht Schluss sein, warnt der Vorstandsvorsitzende der Bochumer Krankenkasse Viactiv: „Ich sehe für 2022 bundesweit eher schwarz“, sagt Reinhard Brücker dieser Redaktion. „Wir brauchen weiterführende steuerliche Mittel, damit die Beitragszahler nicht weiter belastet werden.“
Brücker verweist auf das hohe Defizit der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) im kostenträchtigen Corona-Jahr 2020. Nach den Jahresergebnissen nennt der GKV-Spitzenverband ein Minus von 2,65 Milliarden Euro für die Kassen. Die Betriebskrankenkassen (BKK), zu denen auch die Viactiv gehört, melden ein Defizit von 235 Millionen Euro.
Weniger Klinikaufenthalte, dafür aber teurere
Brücker führt das nicht nur auf Folgen der Pandemie zurück. Er nennt beispielhaft die Klinikausgaben: 2020 habe es bei den rund 700.000 Viactiv-Versicherten fast 15 Prozent weniger Klinikfälle gegeben. Diese Fälle seien aber auch außerhalb der Corona-Behandlungen im Schnitt rund 15 Prozent teurer gewesen als im Vorjahr. „Es sind vor allem schwer erkrankte Patienten in die Kliniken gegangen, deren Behandlung dann entsprechend hoch abgerechnet worden ist.“
Aber auch Ausgaben für Honorare der Heilmittelerbringer seien 2020 gestiegen – bundesweit um 200 Millionen Euro. Seit Jahren entwickelten sich Einnahmen und Ausgaben auseinander, so Brücker. Ohne die Pandemie, sagt er, wäre das Defizit 2020 für die Kassen sogar noch höher ausgefallen.
„2021 kommen erschwerend gesetzliche Vorgaben, nach denen die Kassen ihre Rücklagen abschmelzen müssen“, sagt Brücker. Die Viactiv sei darauf vorbereitet gewesen: Sie hat ihren kassenindividuellen Zusatzbeitrag zum Jahreswechsel angehoben – von 1,2 auf 1,6 Prozent.
Viactiv-Chef: Mehr Bundesmittel nötig
Brücker warnt davor, die Beitragszahler weiter zu belasten und sieht die Politik in der Pflicht, stattdessen den 2004 eingeführten Bundeszuschuss noch stärker zu erhöhen. Die Krankenkassen finanzieren sich zwar generell aus Versichertengeldern. Für sogenannte versicherungsfremde Leistungen, die zumeist familienpolitisch motiviert sind, gibt es aber Steuermittel – anfangs eine Milliarde Euro, 2017 rund 14,5 Milliarden. 2020 gab es Extra-Geld für Pandemieausgaben, 2021 steigt der Zuschuss auf 19,5 Milliarden Euro.