Berlin/Dortmund.. Viele Patienten wissen nicht, was gut für sie ist. Sie seien einem Monopol der Desinforamtion ausgesetzt. Eine neue Studie klärt über den Sinn und Unsinn von Vorsorgeuntersuchungen auf.
Ärzte in Deutschland bieten aus Expertensicht millionenfach unnütze und sogar riskante Methoden zur Früherkennung und Diagnose an – so die Kritik von Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission. Hinzu komme, dass viele Patienten überhaupt nicht wüssten, was gut für sie ist. Sie seien regelrecht damit überfordert, zwischen nötigen und überflüssigen medizinischen Angeboten zu unterscheiden. „Die Menschen haben Schwierigkeiten dabei, Gesundheitsinformationen zu finden, sie zu verstehen, sie dann einzuordnen und schließlich umzusetzen“, sagte AOK-Chef Jürgen Graalmann am Dienstag in Berlin.
Folgende Beispiele nennt die AOK als besonders fragwürdig: Beispiel Röntgenaufnahme. Sie bringe dem Arzt äußerst selten Informationen über seine Untersuchung und Befragung hinaus, heißt es in der AOK-Studie. Solche Untersuchungen förderten höchstens meist kleinere Abnutzungen zutage, die Patienten zusätzlich verunsichern können. Aber auf Röntgenstrahlen und Computertomographie gingen jedes Jahr geschätzt rund 2000 Krebserkrankungen in Deutschland - bezogen auf alle Körperregionen - zurück, heißt es. Angezeigt sei Röntgen bei Schmerzen nach Unfällen oder Verletzungen.
Doch wie können Patienten erfahren, was wirklich nötig ist? Wolf-Dieter Ludwig spricht vom „Monopol der Desinformation“. Aus seiner Sicht haben Hersteller von Arzneimitteln und Medizinprodukten viele Möglichkeiten, den Patienten zu ihren Produkten zu überreden.
Beispiel Ultraschall zur Früherkennung von Eierstockkrebs. Verglichen wurden in einer Untersuchung Frauen mit und ohne eine solche Früherkennung, die als Selbstzahlerleistung vom Arzt angeboten wird. Von jeweils 1000 Betroffenen starben jeweils drei. Das Risiko, an der Krankheit zu sterben, verringert sich durch Ultraschall also nicht. Zwei Millionen Frauen ließen sich zu dieser Untersuchung überreden.
Beispiel Prostata-Früherkennung durch PSA-Test und Tastuntersuchung. Auch hier ist das Ergebnis niederschmetternd — die Todeszahlen sind in der Gruppe mit und in der ohne Früherkennung gleich. 20 von 100 Männern würden aber dadurch ohne Grund therapiert, mittels Operation, Chemo oder Bestrahlung.
Die AOK will die Information für Patienten mit den „Faktenboxen“ verbessern, die seit Dienstag im Internet zu finden sind (www.aok.de/faktenboxen). Ein Blick zeigt eine übersichtliche Aufbereitung, zum Beispiel zum Thema der gleichfalls massiv kritisierten Nahrungsergänzungsmittel. Beispiel Nahrungsergänzungsmittel bei Männern. Kann ich mich vor Krebs mit Selen schützen? Antwort: Kein Nutzen. Zusätzliches Selen über die normale Ernährung hinaus verhindert keinen Krebs. Auch die Statistik liest sich einfach: Von 100 untersuchten Männern entwickelten 5 Männer einen Prostatakrebs mit und 5 ohne Selengabe, 5 starben.
Entwickelt wurde die Form der „Faktenboxen“ in den USA, erläutert der Direktor des Harding-Zentrums, Gerd Gigerenzer. Doch zu den Patienten seien die Faktenboxen dort noch nicht gelangt. „Sie werden von etlichen Interessengruppen vehement bekämpft.“
Der Arzt als Geschäftemacher
Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz, ist die mangelnde Aufklärung der Patienten seit langem ein Dorn im Auge. Vor allem kritisiert er das IGeL-Angebot (individuelle Gesundheitsleistungen, die selbst bezahlt werden müssen): „Der IGeL-Markt boomt. Der Arzt macht Kasse. Immerhin jeder dritte Patient greift zu. Das systematische Geschäft mit der Angst beschert den niedergelassenen Medizinern bereits über eine Milliarde Euro Umsatz. Die Aufgabe der Ärzte ist nicht, Geschäfte zu machen, sondern dem Patienten zu helfen“, sagtBrysch.