Herne.. Michelle Müntefering ist die Ehefrau von Ex-SPD-Chef Franz Müntefering. Es könnte passieren, dass sie ab nächstem Jahr neben ihm im Bundestag sitzt. Im Interview erklärt die Hernerin, warum sie nach Jahren im Stadtrat für das Bundesparlament kandidieren will – und warum der Erfolg der Piraten sie skeptisch macht.
Wir treffen Michelle Müntefering (32) im Parteibüro der Herner SPD in der Herner Innenstadt. Zwischen Wahl-Plakaten, Stühlen, Stapeln von Papptellern und Batterien von Ketchup-Flaschen hilft sie gerade bei den Vorbereitungen für ein Familienfest des SPD-Ortsvereins. Zum Interview gehen wir ein paar Schritte in ein Straßencafé. Michelle Müntefering bestellt Latte Macchiato.
Frau Müntefering, die Tatsache, dass Sie mit dem ehemaligen Vizekanzler und SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering verheiratet sind, spielt in vielen Ihrer Interviews eine Rolle. Nervt Sie das?
Michelle Müntefering: Nein, das nervt mich nicht. Aber ich rede lieber über Politik als über mein Privatleben. Ich weiß, dass zur Politik Öffentlichkeit dazugehört und dass man für Politik werben muss. Das ist in Ordnung, aber ich möchte mein Privatleben ganz gerne selber bestimmen und das nicht mit aller Welt teilen.
Franz Müntefering heiratet auf Zeche Zollverein
Was drängt Sie in den Bundestag?
Als ich anfing mit der Politik, da war mein Ziel, in den Stadtrat zu kommen, damit ich mit gestalten kann, wie meine Heimatstadt sich entwickelt. Mittlerweise bin ich seit 15 Jahren ehrenamtlich aktiv, habe den Berliner Betrieb kennengelernt und ich traue mir zu, das zu machen. Die Ruhrgebietsstädte brauchen wieder mehr Gewicht.
Der Bundestag ist entscheidend für die Städte
Ist denn der Bundestag besser dafür geeignet als die Kommunalpolitik?
Die Kommunalpolitik ist ganz wichtig. Und sie wird auch immer wichtiger werden. Aber der Bundestag entscheidet maßgeblich darüber, wie die Finanzen der Städte organisiert werden. Und dabei muss es Menschen geben, die die Situation vor Ort kennen.
Manchen Politikern, die in Ihrem Alter sind, fehlt die berufliche Bodenhaftung.
Das ist bei mir nicht so. Ich habe immer gearbeitet und nebenbei ehrenamtlich Politik gemacht. Dafür schäme ich mich auch nicht, im Gegenteil. Ich habe eine abgeschlossene Ausbildung, ein abgeschlossenes Studium und in verschiedenen Bereichen gearbeitet.
Politik hat dabei immer irgendwo eine Rolle gespielt, weil das etwas ist, was ich gerne mache.
Ob die Piraten ein Vorbild sind? Abwarten!
Warum haben die Parteien, ausgenommen die Piraten, Schwierigkeiten, junge Leute zu begeistern?
Das ist eine Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt. Natürlich müssen Parteien sich verändern. Man muss auch den Lebensstil einer jungen Generation kennen und in die klassische Parteiarbeit integrieren. Und man muss vermitteln, dass man mitentscheiden kann. Wenn junge Leute das Gefühl nicht haben, interessieren sie sich nicht für Politik.
Der Erfolg der Piraten beruht darauf, dass Mitbestimmung eines jeden Mitglieds Teil des Systems ist. Jeder ist Delegierter, jeder schreibt am Parteiprogramm. Davon sind die etablierten Parteien weit entfernt.
Natürlich sind einige Ideen dabei, die auch die etablierten Parteien sich jetzt ansehen. Aber ich kenne auch den politischen Alltag, ich weiß, dass die Demokratie Regeln braucht, um Politik zu organisieren.
Ehrennadeln sind schließlich auch wichtig
Ob sich die Piraten überleben, wird man sehen. Aber einfach zu sagen, das bringt es nicht, wir machen weiter wie bisher, das kann es auch nicht sein. Sonst sitzen in den Ortsvereinen nur noch ältere Menschen mit ihren Ehrennadeln für die jahrzehntelange Parteiarbeit.
Man muss das Internet sicher stärker berücksichtigen und auch andere neue Formen von Mitsprache ermöglichen. Aber ich verwahre mich dagegen, wenn es heißt, die Mitgliederehrung sei überholt. Ich habe Respekt vor Menschen, die ihr Leben mit einem Ehrenamt verbringen und die was tun für die Gesellschaft. Wir sollten nicht sagen, das eine ist „in“, das müssen wir machen, und das andere ist von gestern, das ist „out“.
Ein Weg, mit mehr Mitbestimmung auf die Basis zuzugehen, wäre doch, die Mitglieder bei der Festlegung auf einen Kanzlerkandidaten zu befragen. Wäre das so ein Schritt in diese Richtung?
Ich bin dafür, Mitgliederentscheide für inhaltliche Fragen zu öffnen – nicht immer nur bei Personaldebatten. In der aktuellen Situation gibt es ja eine Einigung, dass man darüber erst im Januar spricht, nach der Wahl in Niedersachsen, und damit bin ich einverstanden.
Bei Hartz IV wurden Fehler gemacht
Die Agenda 2010 liegt ja gerade zehn Jahre zurück. Wie sehen Sie im Rückblick die auch in der SPD umstrittenen Hartz-Reformen?
Zunächst ist es wichtig zu sagen: Wir haben mit der Agenda einen Anschub gemacht, den das Land gebraucht hat. Wir haben dann aber gesehen, schon 2007, nicht erst heute, dass Fehler dabei gemacht wurden. Zum Beispiel bei der Leiharbeit, bei den Minijobs, wo wenig Rentenansprüche entstehen, was dazu führt, dass vor allem Frauen benachteiligt sind. Das sind Dinge, die müssen wir dringend korrigieren. Ich hoffe, dass wir 2013 dafür eine neue Chance bekommen.
Können Sie nachvollziehen, wenn die ältere Generation der SPD, dazu zählt ja auch Ihr Mann, sagt: „Wir sind stolz auf die Agenda 2010“?
Stolz – weiß ich nicht. Zur Agenda 2010 gehören aber auch Punkte, über die wir wenig diskutieren, wie die energetische Gebäudesanierung. Wir haben Arbeit geschaffen, indem wir gesagt haben, wir wollen Gebäude umbauen mit neuer Umwelttechnik. Wir haben auch Gelder bereitgestellt für Forschung und Entwicklung.