Rio de Janeiro.. Durch den Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre wurden viele Brasilianer aus der Armut herausgeführt, sagt Klemens Paffhausen, Brasilien-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, zum Start des brasilianischen Deutschlandjahres„Trotzdem gibt es nach wie vor breite Schichten der Bevölkerung, die an diesem Aufschwung nicht teilhaben“, beklagt Paffhausen im NRZ-Interview.

Über den Wandel Brasiliens vom Entwicklungsland zu einer der größten Wirtschaftsnationen der Welt und die Auswirkungen der kommenden Großereignisse in Rio sprach NRZ-Redakteur Thomas Rünker mit dem Brasilien-Experten des Essener Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Klemens Paffhausen.

Brasilien hat in den vergangenen Jahren einen beeindruckenden Aufschwung erlebt. Warum müssen in dem Land trotzdem noch Entwicklungshilfeprojekte gefördert werden?

Paffhausen: In Makroökonomischen Zahlen hat es dieses Wirtschaftswachstum zweifellos gegeben. Dadurch ist es auch gelungen, viele Menschen aus der absoluten Armut herauszuführen. Es ist zudem einiges im Bereich Bildung geschehen. Trotzdem gibt es nach wie vor breite Schichten der Bevölkerung, die an diesem Aufschwung nicht teilhaben. Ganz konkret sehen wir dies etwa bei den zahlreichen Großbaustellen, zum Beispiel den gigantischen Staudamm-Projekten. Dort reisen Tausende mitten in den Urwald in der Hoffnung auf einen Job, warten oft Monate lang – und doch gehen am Ende viele leer aus.

Der Brasilien-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks, Klemens Paffhausen (li.), im Gespräch.
Der Brasilien-Experte des Lateinamerika-Hilfswerks, Klemens Paffhausen (li.), im Gespräch. © Bastian Henning/Adveniat | Bastian Henning/Adveniat

Und wie helfen hier Organisationen wie Adveniat?

Paffhausen: Adveniat unterstützt Projekte, die armenorientiert sind. Die Kirche mit ihrer Option für die Armen geht auf Menschen zu, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sie geht dort hin, wo sonst niemand hingeht: zu benachteiligten Jugendlichen, alleinerziehenden Müttern, Migranten, Arbeitslosen, Gefangenen, Obdachlosen, zu alten Menschen, Drogenabhängigen, Prostituierten und vielen mehr. Mich beeindruckt dabei das große Engagement unserer Partner, die so ihren Glauben leben und ihr Handeln auch als solidarisches Zeugnis verstehen. Der Großteil unseres Spendenaufkommens geht an solche Initiativen an der Basis.

Wo sehen Sie positive Ansätze in der brasilianischen Politik, einen breiteren Bevölkerungsanteil am Aufschwung teilhaben zu lassen?

Paffhausen: Da ist auf jeden Fall die „Bolsa Familia“ zu nennen, eine Art Kindergeld, das an den Nachweis des Schulbesuchs gekoppelt ist. Zudem können mittlerweile auch Familien mit kleineren Einkommen zunehmend auf Raten einkaufen und so Dinge erwerben, die für sie sonst unerschwinglich wären. Problematisch ist jedoch nach wie vor in weiten Teilen des Landes die Versorgung der Bevölkerung mit medizinischer Hilfe und mit bezahlbarem Wohnraum.

Mit dem Weltjugendtag, der Fußball-WM und den Olympischen Spielen steht Rio de Janeiro in den kommenden Jahren im Fokus der Öffentlichkeit – ist das eine Chance oder ein Risiko für die Millionen Bewohner der Armenviertel?

Paffhausen: Da bieten sich durchaus Chancen. Zunächst einmal freut sich jeder Einwohner Rios über die Ehre, dass seine Stadt diese Großereignisse austragen darf. Das ist ein wichtiger emotionaler Faktor. Konkret sollte Rio so weitermachen, wie es sich bereits jetzt etwa bei der Verbesserung der Sicherheitslage zeigt. Die „Befriedung“ der Armenviertel durch die „Polícia Pacificadora“ (Befriedungspolizei, Anm. d. Red.) macht Fortschritte, immer weniger Favelas werden durch die Banden der Drogenbosse beherrscht. Die Gewalt hat deutlich abgenommen, davon profitiert die ganze Stadt – und natürlich auch der Tourismus.