Essen. Das wichtigste und teuerste Vorhaben von Kommunalministerin Scharrenbach nimmt Gestalt an. Dieses Modell soll die Finanznot lindern.

Während andere Urlaub machen, bereist Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) zurzeit ihre politischen Baustellen in Nordrhein-Westfalen. In dieser Woche machte die 45-Jährige in Essen Station und äußerte sich im Gespräch mit Tobias Blasius und Michael Kohlstadt zu aktuellen Themen.

Die schwarz-grüne Landesregierung hat verbindlich eine Lösung des Altschulden-Problems der Kommunen bis zum kommenden Jahr angekündigt. Wie wollen Sie vorgehen? 

Zunächst werden wir im Herbst auf die Bundesregierung zugehen. Die Ampelkoalition steht mit in der Pflicht, ihren Koalitionsvertrag in die Tat umzusetzen. Dort wird eine Beteiligung des Bundes an der Lösung der Altschuldenfrage der Kommunen in Aussicht gestellt.

Wie kann eine Lösung konkret aussehen?

Es wird darauf ankommen, was der Bund gibt. Stand 31. Dezember 2021 haben die NRW-Kommunen rund 22 Milliarden Euro Liquiditätskredite mit unterschiedlichen Laufzeiten aufgehäuft. Eine Lösung könnte sein, dass ein Sockelbetrag eingezogen wird. Nur ab einer bestimmten Schuldenhöhe pro Einwohner würde dann eine Entlastung greifen. Oder man bezieht alle Kommunen mit ein. Das sind Fragen, mit denen wir uns gerade beschäftigen. Im Anschluss müssen wir Regelungen finden, damit sich die Schuldenspirale in den Kommunen nicht erneut weiterdreht. Dafür brauchen wir Gesetzesänderungen auf Landesebene.

Werden Sie die Städte so entlasten, dass die Bürger etwas davon merken?

Die Frage wird sein, wie und ob sich die Städte nach dem Schuldenschnitt wieder verschulden. Lässt man das zu, stehen sie in 20 Jahren wieder da, wo sie heute stehen.  Es muss sich also auch etwas an der Ausgabenseite ändern. Und da kommt der Bund ins Spiel mit seinen immer neuen Rechtsansprüchen auf Sozialleistungen, die aus Sicht der Kommunen nicht ausfinanziert sind.

Wo sollte der Bund Aufgaben übernehmen?

Es ist gut, dass Berlin inzwischen bis zu 75 Prozent der in den Kommunen anfallenden Kosten der Unterkunft übernimmt. Es dürften aber auch gern 100 Prozent sein. Das würde insbesondere die Ruhrgebietsstädte mit ihren vielen Langzeitarbeitslosen entlasten. Auch im Ausländerwesen könnte der Bund für Entlastung der Städte und Kreise sorgen, indem er dezentrale nationale Ausländerbehörden schafft. Schließlich geht es ja um Bundesrecht.

Was sagen Sie den Städten, die keine Altschulden haben, weil sie in der Vergangenheit sparsam gewirtschaftet haben?

Für diese Kommunen soll es einen Ausgleich geben in Form einer Investitionsunterstützung.

Die Energiekrise infolge des Ukraine-Krieges stürzt auch viele Stadtwerke in Nöte. Wie wollen Sie gegensteuern?

Der Bund sollte die kommunalen Versorger unter einen Schutzschirm nehmen. Sie sind ein Eckpfeiler der Energieversorgung in Deutschland. Die überwältigende Mehrheit der kommunalen Stadtwerke im Bundesgebiet beziehen Energie nicht an den Energiebörsen. Stadtwerke sind Basisversorger. Wenn andere Anbieter ausfallen, müssen Stadtwerke Kunden nehmen. Hier muss der Bund schnell die Sicherheit geben, dass es zu keiner Schieflage kommt. Unsicherheit ist der Feind von Investition.

Sollen die letzten deutschen Atomkraftwerke länger am Netz bleiben?

Wenn in einer echten Energiekrise jeder Kubikmeter Gas für die Industrie und die Wärmeversorgung der Haushalte benötigt wird, werbe ich als CDU-Politikerin für Offenheit in der politischen Debatte. In Deutschland sind noch drei Atomkraftwerke am Netz, die über das Jahresende hinaus befristet Strom produzieren und damit ihren Beitrag zum Gassparen leisten könnten. Da es um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht, muss die Frage der befristeten Laufzeitverlängerung ernsthaft geprüft werden.

Die SPD hatte im Landtagswahlkampf jährlich 100.000 neue Wohnungen und davon 25.000 Sozialwohnungen versprochen. Wieviele schaffen Sie, um horrenden Mietkosten zu begegnen?

Diese Zahlen hatten nie Substanz und sind völlig aus der Luft gegriffen. Wir haben als Ministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das für Nordrhein-Westfalen bis 2040 durchschnittlich 46.000 neue Wohnungen pro Jahr vorsieht. Das ist realistisch und wir liegen alles in allem im Plan.

Und der Mangel an Sozialwohnungen?

Beim mietpreisgebundenen Wohnraum war es in den vergangenen Jahren schwer, mit öffentlichen Subventionen gegen billige Kredite von den Banken zu konkurrieren. Ich gehe aber davon aus, dass die Wohnraumförderung für Investoren bei nun absehbar steigenden Zinsen automatisch wieder attraktiver wird. In Nordrhein-Westfalen stehen für die kommenden Jahre weiterhin 1,1 Milliarden Euro pro Jahr für die öffentliche Wohnraumförderung zur Verfügung. Darauf hat sich die Landesregierung verständigt.  Zusätzlich hat das KfW-Förderchaos des Bundes in diesem Jahr für große Verunsicherung bei kleinen Hausbauern aber auch großen Investoren gesorgt. Deshalb ist dieses Jahr kein so gutes für den Wohnungsbau. Alle warten jetzt darauf, welcher Standard für die Energieeffizienz von Gebäuden am dem 1.1.2023 gelten soll. Da muss der Bund jetzt schnellstens Klarheit schaffen.

Wann wird die Mietpreisbremse ausgeweitet?

Die aktuelle Mieterschutzverordnung läuft 2025 aus. Wir werden vorher ein neutrales Gutachten einholen, das aufzeigen wird, ob die Gebietskulisse für die Mietpreisbremse ausgeweitet werden muss und sie dann in der Konsequenz mehr Städte in Nordrhein-Westfalen umfasst.

Das Ruhrgebiet steckt immer noch mitten im Strukturwandel. Wie kommt die Region voran?

Das Ruhrgebiet hat wirklich alle Chancen. Es gibt viele gute Beispiele. Bochum hat mit dem alten Opelgelände Mark 51.7 ein Vorzeigeprojekt, Dortmund entwickelt sich stark im Bereich Digitalisierung. Essen ist unverändert die Energiestadt. Auch Bottrop und Oberhausen entwickeln sich gut. Es gibt aber ein Ruhrgebiet der zwei Geschwindigkeiten - Städte, die voranziehen, andere, die ihre wirtschaftlichen Zukunftspfade noch suchen.

Viele Revierbürger klagen über das Erscheinungsbild ihrer Stadt. Ist das Ruhrgebiet zu arm, um für mehr Sauberkeit und gepflegte Grünanlagen sorgen können?

Umfragen zeigen, wie wichtig den Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung sind. Dass gerade Großstädte manchmal unsauberer sind, hängt wohl auch am individuellen Verhalten einiger Bürger. Es hat aber auch mit den Prioritäten der Kommunalpolitik zu tun. Im Ruhrgebiet gibt es viele Städtebauprojekte, in denen wunderbare Aufenthaltsräume geschaffen werden. Die Frage, wie diese Gärten, Parks und Spielanlagen in der Folge sauber und in Ordnung gehalten werden sollen, wird aber oft nicht mitbedacht. Und das liegt nicht nur am mangelnden Geld.