Düsseldorf/Essen. Wegen der rapide wachsenden Zahl von Flüchtlingen wird Ruf nach einem Krisenstab lauter. Doch ob Pandemie, Flut oder Krieg - NRW verzichtete.

Zehntausende Flüchtlinge aus der Ukraine suchen täglich in Deutschland Zuflucht. Und ein Ende des Zustroms von Menschen ist nicht abzusehen. Angesichts der dramatischen Lage fordern Experten die Einrichtung eines Krisenstabs, der die NRW-Landesregierung dabei unterstützt, den Zulauf zu steuern. „Die Prognosen gehen von weiter steigenden Zahlen aus, dies könnte sich zu einer Flüchtlingskrise entwickeln. Darauf sind wir nicht gut vorbereitet“, sagt Prof. Hans-Jürgen Lange, Präsident der Hochschule der Polizei in Münster.

„Wie will man Hunderttausende Flüchtlinge menschenwürdig unterbringen? Wie beschaffe ich das nötige Personal und die Ressourcen? Das sind komplexe Organisationsfragen, bei denen ein gut aufgestellter Krisenstab einiges bewirken könnte“, so Lange.

Landesregierung bündelt die Kräfte

Als ersten Schritt hat die Landesregierung jetzt einen Kabinettsausschuss der betroffenen Ministerien eingerichtet, der ressort-übergreifend die Kräfte bündeln soll. Dadurch sollen die nötigen Maßnahmen besser koordiniert und „unter dem Dach eines starken politischen Führungsgremiums“ verzahnt werden, erklärte Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Zudem richtete das Flüchtlingsministerium einen Stab „Außergewöhnliches Ereignis – Flucht Ukraine“ ein, der Maßnahmen des Ministeriums landesweit regeln soll und sich eng mit den Bezirksregierungen abstimmt.

Ob das reicht? Nach Ansicht des Sicherheitsexperten Prof. Lange müssten in einem echten Krisenstab unter anderem Vertreter der Landesregierung, der Kommunen, der Hilfsorganisationen, der Medizin, der Feuerwehr und der Polizei zusammenarbeiten. „Wenn man einen guten Stab zusammenstellt, der die relevanten Fragen bearbeitet und umsetzt, kann das sehr hilfreich sein“, sagt Lange. Aus der Flüchtlingskrise 2015 sollte die Politik gelernt haben, welche Schritte nötig sind. Wichtig sei, dass dieses Gremium Entscheidungsbefugnis hat. „Sonst wäre es reine Symbolpolitik.“

Drei große Krisen in zwei Jahren

Unterstützung kommt aus der Opposition im Landtag. Bei einer Sondersitzung in dieser Woche zum Überfall Russlands auf die Ukraine forderte SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty die Landesregierung auf: „Aktivieren Sie den Krisenstab!“ Und die Fraktionschefin der Grünen, Verena Schäffer, sagte: „Ich wünsche mir, dass die Landesregierung aus den großen Herausforderungen der letzten Jahre lernt – und wenigstens jetzt einen Krisenstab zur Koordinierung der Lage einrichtet, damit wir schnell und koordiniert den Menschen helfen können.“

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Drei große Krisen brachen in den vergangenen zwei Jahren über NRW herein: Die Pandemie, die Jahrhundertflut und nun die Zuwanderung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen. Einen Krisenstab, also eine Expertenrunde, die dabei hilft, eine besondere Notlage zu bewältigen, hat es aber auf Landesebene in dieser Zeit nicht gegeben.

NRW setzt auf Beiräte

Andere Bundesländer sind nicht so zurückhaltend. In der Corona-Pandemie beriefen zum Beispiel Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Krisenstäbe oder vergleichbare Runden ein. In NRW drangen vor allem die Kommunen darauf, einen „richtigen“ Krisenstab auf Landesebene zu Bewältigung der Pandemie einzuberufen, der auch die Bedürfnisse der Städte berücksichtigt. Der Bund hat inzwischen einen Corona-Krisenstab mit Generalmajor Carsten Breuer an der Spitze.

NRW setzt indes auf Beiräte, die nur unverbindliche Empfehlungen geben, zum Beispiel auf einen „Expertenrat Corona“, der schnell wieder aufgelöst wurde. Selbst als im Juli 2021 die katastrophale Flut über Teile von NRW hereinbrach, rang sich die Landesregierung nur dazu durch, einen „Kleinen Krisenstab“ (Koordinierungsgruppe) aufzustellen.