Banjul. Der kleinste Staat auf dem afrikanischen Festland und sein schwieriger Neuanfang nach der Diktatur: Ein Besuch in Gambia.

Die Präsidentenwahl in Gambia ist eigentlich ein Kinderspiel. Belustigt wirft Musa Jallow seine gläserne Murmel in den Trichter der bunten Wahlurne und wird mit einem Klingelton für diese staatsbürgerliche Tat belohnt. Doch die erste Wahl in der jungen Demokratie war eine bitterernste Sache. Noch immer liegt der Schatten Yayah Jammehs über dem kleinsten Staat auf dem afrikanischen Festland, das der Diktator seit seinem Militärputsch im Jahre 1994 mit eiserner Hand regierte. Vor fünf Jahren einigten sich die Oppositionsparteien auf einen gemeinsamen Kandidaten und Adama Barrow schlug Jammeh, der zuvor verkündet hatte, „noch in einer Million Jahre zu regieren“.

Seinerzeit führte das Wahlergebnis zu einer Zitterpartie, da Jammeh sich einfach weigerte, seinen Posten zu räumen. Der neue Präsident musste seinen Amtseid im benachbarten Senegal leisten und konnte erst nach der Intervention durch Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft – legitimiert durch Resolutionen der UN und der Union afrikanischer Staaten – die Regierung übernehmen.

Vor alem junge Gambier wissen die neue Freiheit zu schätzen, die der Wahlsieg von Gambia, Adama Barrow ihnen brachte.
Vor alem junge Gambier wissen die neue Freiheit zu schätzen, die der Wahlsieg von Gambia, Adama Barrow ihnen brachte. © AFP | JOHN WESSELS

Um einen Bürgerkrieg zu vermeiden, erlaubte es Barrow, dass sein Vorgänger unter Mitnahme seines beträchtlichen Vermögens nach Äquatorial-Guinea ins Exil ging. „Nach seinem Abflug habe ich die Angst verloren, ins Gefängnis geworfen oder gar getötet zu werden“, sagt Musa Jallow, der aus Furcht vor Jammehs Mordkommandos nach Senegal geflüchtet war. „Schon deswegen habe ich Barrow wieder gewählt.“

Vor allem junge Gambier wissen die Freiheit zu schätzen, die ihren Eltern und Großeltern so lange versagt blieb. „Wir können reden, was wir wollen, haben freie Medien und sogar Komiker, die sich über Politiker lustig machen“, freut sich der 23-jährige Friseur Nuah Bojang. Sich über den selbstherrlichen Jammeh zu amüsieren, der behauptete, mit Bananenbrei und Handauflegen Aids zu heilen, war ein Staatsverbrechen.

Von der Liberalität und dem Pluralismus zeugen auch, dass sich 21 Kandidaten für das Amt des vierten Präsidenten in der Geschichte Gambia seit der Unabhängigkeit der einstigen britischen Kolonie im Jahre 1965 bewarben. Die Wahlkommission reduzierte die Zahl aus verfassungsrechtlichen Gründen auf sechs Männer, die um die Murmeln der rund eine Million Wahlberechtigten kämpften. Dies in der Welt einzigartige Wahlverfahren wurde wegen der vielen Analphabeten bei der Gründung der Republik eingeführt. Obwohl mittlerweile die Mehrheit der Bevölkerung lesen und schreiben kann, halten die Gambier an dieser Tradition fest.

Der Neue im Amt ist wohltuend langweilig

Gemessen an dem bizarren Gehabe Jammehs ist Adama Barrow wohltuend langweilig und zurückhaltend. Aber er führte Gambia aus der langen Isolation. Frank-Walter Steinmeier, kam als erstes europäisches Staatsoberhaupt im Dezember 2017 zum offiziellen Besuch nach Gambia, um Barrow außenpolitisch den Rücken zu starken. Der 56-jährige Barrow arbeitete lange Jahre als Sicherheitsmann in London und bei seiner Rückkehr als Immobilienhändler, bevor er in die Politik einstieg.

Gambis Präsident Adama Barrow bringt dem Land neue Hoffnung.
Gambis Präsident Adama Barrow bringt dem Land neue Hoffnung. © AFP | GUY PETERSON

Drohte sein Vorgänger noch „Homosexuellen persönlich die Kehle aufzuschneiden“, so werden gleichgeschlechtliche Beziehungen jetzt toleriert. Auch auf den internationalen Ranglisten für Menschenrechte und Korruption hat sich Gambia deutlich verbessert. Daher fließen auch die als Druck auf Jammeh zurückgehaltenen internationalen Hilfsgelder seit Barrow wieder. So überwies die EU seit 2016 400 Millionen Euro nach Gambia.

Dies ist freilich nur ein Bruchteil der Gelder, die von den legal oder illegal ausgewanderten Gambiern an ihre Familien gezahlt wird. Zusammen mit dem Tourismus ist dies die Haupteinnahmequelle Gambias, das zu den 20 ärmsten Ländern der Welt zählt. Barrow hat beachtliche Erfolge in China und den Golfstaaten für Investitionen in die Infrastruktur seines Landes erzielt. So legte er kürzlich den Grundstein für eine neue Stadt, die nach ökologischen Prinzipien gebaut wird und 60.000 Arbeitsplätze schaffen soll. Zwar wurde Gambia dank einer rigorosen Abschottung der Grenzen und eines langen Lockdown bei Weitem nicht so hart getroffen wie das südliche Afrika, aber die Pandemie hat den beginnenden wirtschaftlichen Aufschwung zunichtegemacht. Der Tourismus brach ebenso zusammen wie die Auslandsüberweisungen der Gambier.

Auch die im Vergleich katastrophale Covid-Lage in Europa hindert viele junge Gambier nicht daran, dort den Ausweg aus Armut und Langweile zu finden. „Barrow hat viel versprochen“, meint Alieu Sanyang lakonisch, „aber für mich hat sich nichts geändert.“ Der junge Mann aus Bansang am anderen Ende des langgestreckten Landes, war als 15-Jähriger in Libyen festgenommen worden, bevor er mit einem Schlauchboot nach Italien übersetzen konnte. Das „Honorar“ an die Schlepper kostete der Familie ihr ganzes Vermögen. Jetzt hilft Alieu seiner Mutter beim Verkauf von selbst gebackenem Brot und träumt weiter vom „Schleichweg“ nach Europa, wie junge Gambier das gefährliche Abenteuer nennen, das viele mit dem Leben bezahlten.

Eine ökologische Stadt soll’s geben

Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist die größte Herausforderung an den wieder gewählten Adama Barrow. Warf sein Vorgänger Dissidenten einfach ins Gefängnis oder ließ missliebige Kritiker ermorden, so erlebt Barrow jetzt eine lebendige politische Streitkultur. Ihm wird verübelt, dass er sein ursprüngliches Versprechen, Neuwahlen nach nur drei Jahren Amtszeit abzuhalten, brach und die verfassungsmäßig vorgeschriebenen fünf Jahre Präsident blieb. Ebenso misstrauisch beobachtete man seinen Wahlpakt mit Jammehs Partei, gegen die der Ex-Diktator freilich aus seinem Exil wetterte. Nun wird befürchtet, dass der Befund der Kommission, die die Menschenrechtsverbrechen Jammehs untersuchte, versandet.

Weil beim Machtwechsel vor fünf Jahren wegen der bedrohlichen Situation alle Märkte schlossen, legte sich jetzt Malang Jarju einen Notvorrat an. Der Hamsterkauf war überflüssig, denn die Wahlen verliefen friedlich und gut gelaunt. Barrow gewann klar mit 54 Prozent der Stimmen. Taxifahrer Babou Jobe stand stundenlang bei der Gluthitze in der langen Warteschlange vor dem Wahllokal in Brufut. Er hoffte nur, dass die Pandemie ebenso verschwindet wie Jammeh und Barrow Gambia wieder zur „lächelnden Küste Afrikas“ macht, wie es die Touristenwerbung anpreist.