Guantánamo Bay. Ein Besuch im US-Marine-Stützpunkt, dem umstrittensten Internierungslager der Welt.
„Honour bound to defend freedom“ steht auf dem frisch bemalten Schild am Eingangstor, das von einem Wachturm und drei Reihen hoher Zäune mit dicht gewickelten Stacheldrahtrollen obendrauf eingerahmt ist: „Ehre verpflichtet, die Freiheit zu verteidigen“. Welche Freiheit, erschließt sich dem Besucher, der mit der Fähre von der anderen Seite der Bucht gekommen ist, auf Anhieb nicht. Menschenrechts-Organisationen sprechen dagegen vom „Herz der Finsternis“.
Noch 171 „Irreguläre Kämpfer“
Wir sind im Südosten Kubas. US-Marine-Stützpunkt Guantanamo Bay. Camp Delta. Das umstrittenste Internierungslager der Welt. Hier werden die letzten 171 von ursprünglich rund 800 „irregulären Kämpfern“ festgehalten, die Amerika nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Ländern wie Pakistan, Afghanistan und dem Jemen aufgreifen und nicht selten foltern ließ. Ohne Schuldspruch. 40 von ihnen soll der Prozess vor dem von Präsident Obama ermächtigten und für 50 Millionen Dollar dort angesiedelten Hochsicherheits-Militärtribunal gemacht werden. Etwa 80 könnten nach Empfehlung einer Gutachter-Kommission entlassen werden, sofern sich Aufnahmeländer finden. Weitere 50 werden wohl in Guantanamo sterben, ohne jemals vor einen Richter getreten zu sein. Die Veröffentlichung der gegen sie vorliegenden Beweise in einem Gerichtsverfahren, sagt die Regierung in Washington, würde die nationale Sicherheit gefährden.
Seife, Bettlaken, Koran
Was ist das für ein Leben in Camp Delta? Was sind das für Menschen? Wer die Wachen beleidigt oder (wie ein Blick an die Decke beweist, ist das Bespritzen mit einem Gemisch aus Urin und Kot noch immer die bevorzugte “Waffe” einiger Insassen) angreift, kommt für bis zu 20 Tage in Quarantäne. Ein karger Raum, zwei Meter lang, zwei Meter breit, zweieinhalb Meter hoch, mit abwaschbaren Wänden, Sehschlitz als Fenster-Ersatz und unkaputtbarer Wasch- und WC-Kombi bleibt 22 von 24 Stunden am Tag Lebensmittelpunkt des Provokateurs. Der Rest ist für den Ausgang in eingezäunten Gehegen vorgesehen. Nachts wechselt das Licht in den Zellen automatisch von gleißend auf fahl. Wer hier in Trakt „5“ einsitzt, trägt als Zeichen von Aggressivität den Knast-Overall in Orange und hat nicht mehr als Badeschlappen, Seife, Bettlaken und Koran. Das Essen servieren die Wächter mit einem Plastikvisier vor dem Gesicht. Als Vorsichtsmaßnahme gegen “menschliche Cocktails”. Zu sehen kriegen die Besucher, 25 Journalisten aus aller Welt, das alles nur simuliert. Alle Zellen im Umkreis sind leer. Es riecht aseptisch nach Putzmittel. Ob nicht doch ein kurzes Gespräch mit einem Häftling möglich wäre? Unser Presse-Sergeant lächelt säuerlich und schaut auf die Uhr.
Harry Potter in der Bibliothek
Wer sich bessert, erzählt der 23-Jährige beim Hinübergehen, darf irgendwann wieder nach „6“. In den Zellblöcken dort ist der nach außen hermetisch versiegelte Vollzug innen ein wenig gelockert. Ein Blick durch bordeaux-rote Metall-Jalousien lässt so etwas wie Gemeinschaftsleben im Halbdunkel erahnen. Man erkennt blassgesichtige Männer mit langen Bärten in weißen T-Shirts. Weiß ist nicht aggressiv. Was sie reden, kann man nicht hören. Einige sitzen zusammen, andere essen, manche waschen sich vor dem Gebet die Füße. Vergitterte Tageslichtschächte an der Decke verleihen dem Ort die Aura einer Tiefgarage; bewacht von mehreren Kameras, die von einem zentralen Kontrollraum aus 24 Stunden lang alles im Blick haben. Ein Gang weiter noch ein Gemeinschaftstraum. Hier wird gelesen, sagt der Sergeant, der weder fotografiert noch mit Namen genannt werden möchte. Harry Potter aus der Leihbibliothek “mögen die Inhaftierten noch immer am liebsten”. Wahlweise auch fernsehen. Unter den angeschraubten Tischen liegen langen Ketten mit ledernen Fußfesseln. Auf einem Malblock hat ein Häftling die Augenpartie einer Frau gemalt.
„Optimale“ Bedingungen
Als ein spanischer Journalist nach der Zahl der Selbstmorde (bislang bekannt: fünf) fragt und die Quote der Hungerstreikenden/Zwangsernährten wissen will, werden die Betreuer schmallippig. „Im Rahmen der Möglichkeiten“, sagt ein Major wie vom inneren Sprechzettel abgelesen, „werden den Gefangenen hier absolut optimale Bedingungen geboten“. Dann ist die Stippvisite in den “Schandfleck”, den Präsident Obama eigentlich schon 2010 beseitigen wollte, vorbei. Freundlich aber bestimmt wird die Gruppe Richtung Ausgang komplimentiert. Journalisten fragen Journalisten nach eilig aufgeschriebenen Zahlen und Eindrücken. Was hier wirklich geschieht, bleibt ihnen verborgen.