Bochum.. Der Bochumer Psychologe und Panikforscher Jürgen Margraf glaubt, dass die Deutschen sich relativ schnell sogar an den Terror gewöhnen können.

Tote in Brüssel und Paris, der Anschlag in Nizza, ein Angriff in Würzburg: Verändert der Terror auch unser Leben – lassen wir uns von der Angst leiten? Professor Jürgen Margraf, Experte für Angst- und Panikforschung mit einem Lehrstuhl für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum, sprach darüber mit Frank Preuß.

Der Terror breitet sich in Europa aus. Neues und Unkontrollierbares dringt in unser Leben. Was macht das mit uns?

Die Welt trauert um die Opfer von Nizza

A French flag
A French flag © REUTERS | REUTERS
Am Tag nach dem verheerenden Anschlag auf die Feier des französischen Nationalfeiertags in Nizza zeigten Menschen in der ganzen Welt ihre Solidarität mit den Opfern. Dieses Mädchen etwa hielt ein Schild mit der Aufschrift „Frieden für Nizza“. Mit einer großen Schülergruppe trauerte sie am Freitagmorgen im indischen Ahmedabad.
Am Tag nach dem verheerenden Anschlag auf die Feier des französischen Nationalfeiertags in Nizza zeigten Menschen in der ganzen Welt ihre Solidarität mit den Opfern. Dieses Mädchen etwa hielt ein Schild mit der Aufschrift „Frieden für Nizza“. Mit einer großen Schülergruppe trauerte sie am Freitagmorgen im indischen Ahmedabad. © REUTERS | REUTERS
Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis (rechts) trug sich vor der französischen Botschaft in Bukarest in ein Kondolenzbuch ein.
Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis (rechts) trug sich vor der französischen Botschaft in Bukarest in ein Kondolenzbuch ein. © dpa | dpa
Währenddessen herrschte in Nizza immer noch Fassungslosigkeit. Diese Frau kann in der Nähe des Anschlagsorts die Tränen nicht zurückhalten.
Währenddessen herrschte in Nizza immer noch Fassungslosigkeit. Diese Frau kann in der Nähe des Anschlagsorts die Tränen nicht zurückhalten. © REUTERS | REUTERS
Überall in Nizza legten Menschen Blumen und Botschaften nieder. Auf einem Zettel am Hals dieses Kuscheltieres ist zu lesen: „Unsere Gedanken sind bei den Opfern.“
Überall in Nizza legten Menschen Blumen und Botschaften nieder. Auf einem Zettel am Hals dieses Kuscheltieres ist zu lesen: „Unsere Gedanken sind bei den Opfern.“ © REUTERS | REUTERS
Spaniens König Felipe und Königin Letizia besuchten die französische Botschaft in Madrid und drückten dort ihre Trauer aus.
Spaniens König Felipe und Königin Letizia besuchten die französische Botschaft in Madrid und drückten dort ihre Trauer aus. © REUTERS | REUTERS
„Vive la France“ – Es lebe Frankreich. Auch in Rom zeigten Menschen überall in der Stadt ihre Solidarität mit Botschaften und Blumen.
„Vive la France“ – Es lebe Frankreich. Auch in Rom zeigten Menschen überall in der Stadt ihre Solidarität mit Botschaften und Blumen. © REUTERS | REUTERS
In Mexiko City wurde in der Nacht zum Freitag unter anderem das Friedensengel-Monument in den Nationalfarben Frankreichs angestrahlt.
In Mexiko City wurde in der Nacht zum Freitag unter anderem das Friedensengel-Monument in den Nationalfarben Frankreichs angestrahlt. © REUTERS | REUTERS
Beim 22. Przystanek Woodstock Festival im polnischen Kostrzyn kamen die Menschen vor der Bühne zusammen und hielten Papierblätter in die Höhe, die zusammen die französischen Flagge ergaben.
Beim 22. Przystanek Woodstock Festival im polnischen Kostrzyn kamen die Menschen vor der Bühne zusammen und hielten Papierblätter in die Höhe, die zusammen die französischen Flagge ergaben. © dpa | dpa
Der Staatspräsident der Ukraine, Petro Poroschenko, legte Blumen vor der französischen Botschaft in Kiew nieder.
Der Staatspräsident der Ukraine, Petro Poroschenko, legte Blumen vor der französischen Botschaft in Kiew nieder. © REUTERS | REUTERS
„Je suis Nice“ – Ich bin Nizza. Diesen an den Trauerspruch der Anschläge von Paris angelehnten Satz ließen die Verantwortlichen am Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel erscheinen.
„Je suis Nice“ – Ich bin Nizza. Diesen an den Trauerspruch der Anschläge von Paris angelehnten Satz ließen die Verantwortlichen am Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel erscheinen. © REUTERS | REUTERS
In Nizza fanden sich am frühen Nachmittag Hunderte Menschen nahe des Anschlagsorts an der Promenade des Anglais ein, um gemeinsam zu trauern.
In Nizza fanden sich am frühen Nachmittag Hunderte Menschen nahe des Anschlagsorts an der Promenade des Anglais ein, um gemeinsam zu trauern. © REUTERS | REUTERS
Laura Boldini, die Chefin des italienischen Abgeordnetenhauses, nahm die französische Botschafterin in Rom, Catherine Colonna, in den Arm.
Laura Boldini, die Chefin des italienischen Abgeordnetenhauses, nahm die französische Botschafterin in Rom, Catherine Colonna, in den Arm. © REUTERS | REUTERS
Auch in Polen wurde vor der französischen Botschaft in der Landeshauptstadt kondoliert: Der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz legte Blumen vor dem Botschaftsgebäude in Warschau nieder.
Auch in Polen wurde vor der französischen Botschaft in der Landeshauptstadt kondoliert: Der polnische Verteidigungsminister Antoni Macierewicz legte Blumen vor dem Botschaftsgebäude in Warschau nieder. © dpa | dpa
Vor der französischen Botschaft in Wien drückten die Menschen mit Blumen ihre Solidarität aus.
Vor der französischen Botschaft in Wien drückten die Menschen mit Blumen ihre Solidarität aus. © REUTERS | REUTERS
Russlands Präsident Wladimir Putin wandte sich in einer Ansprache an den französischen Präsidenten Francois Hollande: „Russland weiß, was Terror ist und welche Gefahr er für uns alle darstellt. Unser Volk ist mit ähnlichen Tragödien nicht nur einmal konfrontiert gewesen. Wir können den Terrorismus nur mit vereinten Kräften besiegen.“
Russlands Präsident Wladimir Putin wandte sich in einer Ansprache an den französischen Präsidenten Francois Hollande: „Russland weiß, was Terror ist und welche Gefahr er für uns alle darstellt. Unser Volk ist mit ähnlichen Tragödien nicht nur einmal konfrontiert gewesen. Wir können den Terrorismus nur mit vereinten Kräften besiegen.“ © dpa | dpa
In Bangkok wurde der Opfer mit Kerzen und Stille gedacht.
In Bangkok wurde der Opfer mit Kerzen und Stille gedacht. © Getty Images | Getty Images
Mitten in Sydney fanden sich Trauernde in der Nacht zum Freitag ein und entzündeten Dutzende Kerzen.
Mitten in Sydney fanden sich Trauernde in der Nacht zum Freitag ein und entzündeten Dutzende Kerzen. © REUTERS | REUTERS
Auch zwei Tage nach dem Anschlag kamen Menschen an der Unglücksstelle zusammen, ...
Auch zwei Tage nach dem Anschlag kamen Menschen an der Unglücksstelle zusammen, ... © Getty Images | Getty Images
... um zu trauern ...
... um zu trauern ... © Getty Images | Getty Images
und Blumen niederzulegen.
und Blumen niederzulegen. © Getty Images | Getty Images
Der Strand und die Promenade waren einen Tag nach dem Anschlag noch menschenleer. Nur vereinzelt saßen Menschen fassungslos und trauernd am Meer.
Der Strand und die Promenade waren einen Tag nach dem Anschlag noch menschenleer. Nur vereinzelt saßen Menschen fassungslos und trauernd am Meer. © Getty Images | Getty Images
Die französischen Flaggen hingen an der Promenade in Nizza auf Halbmast.
Die französischen Flaggen hingen an der Promenade in Nizza auf Halbmast. © Getty Images | Getty Images
Auch bei der Toure de France zeigten sich Rad-Fans solidarisch mit den Opfern von Nizza.
Auch bei der Toure de France zeigten sich Rad-Fans solidarisch mit den Opfern von Nizza. © dpa | dpa
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Jürgen Margraf: Der Terror will Angst auslösen. Man muss sich hüten, auf dieses Spiel einzugehen. Man darf sich nicht zu sehr Angst machen lassen. Aber es ist natürlich verständlich, das wir Ängste haben. Ich hatte auch schon die ersten Patienten, die aus Terrorangst nicht mehr fliegen wollen oder nicht mehr mit der Bahn fahren. Klinische Phobien hat es ja immer schon gegeben, jetzt kommt der Terror hinzu. Ich würde aber mit den Erfahrungen aus der Psychologie erwarten, dass die Menschen sich sogar daran relativ schnell gewöhnen. Wir gewöhnen uns an erstaunlich vieles.

Ist Israel ein Musterland dafür, dass man sich sogar an Terror gewöhnen kann?

Margraf: In der Tat. Sie denken eben nicht ständig daran. Die Israelis leben mit einer Bedrohung, die wir uns kaum vorstellen können. Und sie leben trotzdem. Die Amerikaner lernen früh, sich „streetsmart“ zu verhalten. Sie wissen, dass sie in bestimmte Straßen besser nicht gehen. Die Tötungsrate in Amerika ist viel höher als in Deutschland, und die Amerikaner haben trotzdem nicht permanent das Gefühl, sie könnten so nicht weiterleben.

Die Chance, Opfer eines Anschlags zu werden, ist mikroskopisch klein. Kann man Ängste mit Statistiken bekämpfen?

Margraf: Begrenzt. Die Menschen hören eher auf Anekdoten als auf Statistik. Und das spielt dem Terror natürlich in die Hände. Es wird eher über den Einzelfall berichtet als über eine Statistik. ,Er war eigentlich ein netter Junge, und wir können uns nicht erklären, warum er das getan hat’ – sowas merken wir uns leider, und es leitet unser Handeln. Es gibt eine Statistik, die besagt, dass im ersten halben Jahr nach den Anschlägen des elften September tausend Leute mehr bei Autounfällen umgekommen sind, weil viel weniger geflogen sind.

Wovon hängt es ab, ob man Angst hat? Eine Frage der Intelligenz?

Margraf: Angst ist nichts Dummes. Wir brauchen sie zum Überleben. Es gibt eine persönliche Veranlagung zur Angstbereitschaft, die davon abhängt, wie man die Situation einschätzt. Entscheidend dafür ist, ob ich meine, die Angst kontrollieren zu können. Dann kann man sie sogar cool finden wie auf der Achterbahn. Wenn wir das Gefühl haben, wir können sie nicht kontrollieren, dann reichen kleine Schrecken schon aus.

Sollte man Angst ausweichen oder sich ihr stellen?

Margraf: Die allermeisten denken erst recht an etwas, wenn sie versuchen, es zu unterdrücken. Das klappt aber nur, wenn einem die Dinge egal sind. Besser ist es, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, darüber zu reden, sich nicht einschränken zu lassen. Den Alltag weiterzuleben hilft sehr.

Wann sollte man sich Hilfe holen?

Margraf: Wenn Sie die Angst beeinträchtigt in ihrem Leben, wenn Sie Ihre Pflichten nicht mehr erfüllen können, wenn die Angst unangemessen groß und unkontrollierbar ist, dann brauchen Sie Hilfe.

Bedroht Angst unseren westlichen Wertekanon, weil Vorurteile Besitz von uns ergreifen?

Margraf: Natürlich. Wenn man in einem Schwarz-Weiß-Schema dazu neigt zu sagen, jetzt gibt es klar definierte Böse. Gegen die Bösen ist ja alles erlaubt. Da kommen dann Ideen aus der Mottenkiste wie Todesstrafe oder Internierungslager. Das ist eine große Falle, die die Anstifter uns stellen. Sie wollen ja sagen, wir haben immer gewusst, dass eure Liberalität nur an der Oberfläche existiert. Es ist aber auch zu einfach, zu sagen, die sind so völlig anders als wir. Wir haben kulturzivilisatorische Errungenschaften, die es uns möglich machen, uns zivilisiert zu benehmen. Unter der Oberfläche lauern aber auch Abgründe. In der Nazizeit konnten normale Polizisten Schreckliches tun und dann einfach nach Hause gehen.

Empfinden Sie denn die jetzige Lage als bedrohlich?

Margraf: Ja, aber der Terror ist zu schwach, uns komplett zu verändern. Die Aktivitäten werden hier verstärkt, weil die Urheber in ihrer Heimat unter Druck geraten sind. Traurig finde ich, dass es immer wieder gelingt, jungen Menschen einzureden, dass es etwas Sinnhaftes ist, Unschuldige zu töten.

Wovor hat der Experte Angst?

Margraf: Ich habe größere Hemmungen, zu einem Fußballspiel zu gehen.