Essen.. Das Revier soll weiter zusammenwachsen. Deshalb stärkt NRW den Regionalverband RVR und das Ruhrparlament. Braucht die Region das? Eine Analyse.
Das Ruhrgebiet bekommt eine schlagkräftigere Regionalvertretung. Der NRW-Landtag beschloss am Mittwoch ein „Gesetz zur Stärkung des Regionalverbandes Ruhr“ (RVR). Es soll noch im Sommer in Kraft treten.
Das Gesetz erlaubt dem RVR, zusätzliche Aufgaben wie den Klimaschutz, den Ausbau erneuerbarer Energien oder die kommunale Europaarbeit für Städte und Landkreise zu übernehmen und diese so zu entlasten. Das darf aber nur mit ihrer Zustimmung geschehen. Die Zusammenarbeit zwischen den elf Städten und vier Kreisen des Ruhrgebietes soll gestärkt, der Strukturwandel der Region vorangebracht werden.
Wofür ist der RVR zuständig?
Die rot-grünen Regierungsfraktionen und die meisten CDU-Abgeordneten stimmten dafür; einige Christdemokraten sowie FDP und Piraten votierten dagegen. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) betonte, weder würden die Mitgliedskommunen durch den RVR entmachtet, noch würden andere Regionen des Landes geschwächt.
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Bisher ist der RVR für Regionalplanung verantwortlich. Zuständig ist er auch für die Route der Industriekultur und den Emscher Landschaftspark. Auch die demokratische Legitimation des „Ruhrparlaments“ in Essen soll gestärkt werden: Das Gesetz sieht eine Direktwahl ab 2020 vor.
Nach langen Diskussionen und gegen harten Widerstand aus dem Sauer- und Münsterland hat der Landtag am Mittwoch beschlossen, den Regionalverband Ruhr (RVR) aufzuwerten. RVR-Direktorin Karola Geiß-Netthöfel nannte diese Entscheidung „historisch“. Aber was hat das Revier vom neuen Gesetz? Darf es seine Geschicke nun etwa selbst lenken?
Was steht im RVR-Gesetz?
Im Kern ermöglicht es den Städten und Landkreisen im Revier, dem RVR Aufgaben zu übertragen. Das könnte das Vermessungs- und Katasterwesen für mehrere Städte oder gar die ganze Region sein. Der RVR könnte auch Bus- und Bahnlinien oder Straßen für die Region planen. Oder im Auftrag der Städte Geld der EU in Brüssel einwerben. Ob dies so geschieht, hängt vom Willen der Städte und Kreise ab. Das RVR-Gesetz bietet nur den „Werkzeugkasten“ dafür.
Außerdem dürfen die Menschen an der Ruhr das „Ruhrparlament“ (RVR-Verbandsversammlung) ab dem Jahr 2020 direkt wählen.
Neu geschaffen wird ein so genannter „Kommunalrat“. Darin sitzen die Ruhr-Oberbürgermeister und Landräte, die sich bisher in einer informellen Runde ohne Öffentlichkeit treffen.
Warum gab es Kritik am Gesetz?
Aus dem Münster- und Sauerland sowie aus Ostwestfalen wurden Vorwürfe laut, das Ruhrgebiet beanspruche Sonderrechte. Außerdem brauche NRW keine neue, zusätzliche Verwaltung. Schließlich dürfe es nicht allein im Revier ein direkt gewähltes Regionalparlament geben. Das Land hat aber klargestellt, dass auch andere Regionen ihre Bürger zur Regio-Wahlurne rufen dürfen.
Ob sie dies aber tatsächlich tun werden, ist fraglich. Der RVR hält dagegen, dass der Verband als ehemaliger „Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk“ 95 Jahre alt und damit älter als NRW selbst ist. Es werde keine zusätzliche Bürokratie geschaffen, sondern Kompetenzen würden sinnvoll umgeschichtet. Es wird auch künftig den Städten und Landkreisen ermöglicht, aus dem Regionalverband auszutreten. Besonders in Wesel gibt es große Vorbehalte gegen den RVR.
Ist das Ruhrgebiet nun eine selbstständige Region?
Nein. Das Revier ist weiter Teil von drei Regierungsbezirken (Arnsberg, Münster, Düsseldorf), und es ist zwei Landschaftsverbänden zugeordnet. Aber die Aufwertung des RVR ist natürlich ein Signal. Es wird künftig nicht mehr so leicht sein, den Verband wegen fehlender Kompetenzen und kleinem Etat zu ignorieren. Der RVR könnte mehr als bisher als „Klammer des Ruhrgebietes“ in Erscheinung treten.
Ist dies das Ende vom Kirchturmdenken?
Bestenfalls ist es der Anfang vom Ende. Das Kirchturmdenken gehört bisher zum Ruhrgebiet wie die Ruhr und die Halden. Mentalitäten und alte Denkmuster lassen sich nicht per Gesetz abschaffen. Wandel braucht Zeit. Im Ruhrgebiet: sehr viel Zeit. Dennoch: Das RVR-Gesetz ist von Menschen erdacht worden, die Kirchturmdenken ablehnen.
Sie kommen von CDU, SPD, Grünen und Linken. Vor 20 oder noch vor zehn Jahren scheiterten solche Initiativen zwangsläufig an den starken Oberbürgermeistern. Diese „Patriarchen“ orientierten sich fast ausschließlich am Kirchturm. Das ändert sich langsam. Nicht, weil nun alle plötzlich ihre Liebe zum „Pott“ entdecken, sondern weil die Kassenlage die extrem verschuldeten Revierstädte zur Zusammenarbeit nötigt. Kirchturmdenken ist sehr teuer.
Braucht das Revier ein vom Bürger gewähltes Parlament?
Viele Bürger dürften noch nicht einmal wissen, dass die Region schon lange ein Ruhrparlament hat. Diese RVR-„Verbandsversammlung“ in Essen ist bisher nur ein „Nebenprodukt“ der Rats- und Kreistagswahlen. Die lokalen Parlamente wählen die Mitglieder.
Für ein direkt gewähltes Ruhrparlament werden sich Frauen und Männer bewerben, die gezielt für die Region Ruhrgebiet Politik machen wollen (und sollen), nicht für Dortmund, Essen oder Duisburg. Dabei kommt auf jeden Fall „mehr Demokratie“ heraus, vielleicht sogar mehr regionales Denken. Auf einen noch größeren Schritt konnten sich die Parteien im Revier nicht einigen: auf die Direktwahl eines RVR-Chefs. Der oder die Gewählte wäre eine Art „Revier-OB“. Ein „Gesicht der Region“ – unakzeptabel für die noch immer machtbewussten Rathaus-Spitzen.