Essen.. Die Krise von Thyssen-Krupp hat viel mit dem neuen Stahlwerk im brasilianischen Sepetiba zu tun: Es sollte die Bramme billiger produziert werden als in Deutschland. Tatsächlich wurde die Bramme 170 Dollar teurer. Die Geschichte einer gigantischen Fehlinvestition.
Es sollte der ganz große Coup werden. Was heraus kam, ist ein Desaster, geeignet, diesen Konzern in seinen Grundfesten zu erschüttern. Der Titan Thyssen-Krupp (TK) wankt. Denn das größte deutsche Stahl- und Technologieunternehmen hat in Brasilien, in der Bucht von Sepetiba, im wahrsten Sinne des Wortes auf Sumpf gebaut. Der Bau des Stahlwerks, das so viel günstiger als deutsche produzieren sollte und ohne lästige Umweltauflagen, geriet zum Milliarden-Flop. Obendrein klagen Fischer und Anwohner gegen das Werk wegen massiver Umweltverstöße.
„Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu“, so launig versuchte Gerhard Cromme, der Vorsitzende des TK-Aufsichtsrates, vor knapp einem Jahr die Aktionäre auf der Hauptversammlung im Bochumer Ruhr-Congress zu besänftigen. Schon da war absehbar, wie teuer dieses unternehmerische Wagnis den Konzern zu stehen kommen würde: Statt der ursprünglich geplanten 1,9 Milliarden Euro kostete es – bis dahin – ein Vierfaches davon.
Nicht getrickst, nur optimistisch berichtet
Cromme, der kurz zuvor ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben hatte, zitierte daraus. Vor allem, um die Vorstände und Aufsichtsräte zu entlasten, die mit Brasilien befasst waren. Sie hätten weder getrickst noch getäuscht, sie hätten lediglich zu optimistisch berichtet, was letztendlich nicht der Realität standgehalten hätte.
Die Aktionäre sind nun mehr als besorgt, vor allem seit Thyssen-Krupp am Mittwochabend seinen halben Vorstand feuerte. „Diese Radikallösung zeigt uns, wie ernst die Lage ist“, sagt Thomas Hechtfischer, der Geschäftsführer der Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), und: „Wir müssen inzwischen davon ausgehen, dass es um eine ganz andere Dimension geht.
Buchwert deutlich über Marktwert
Der Buchwert der Werke in Brasilien und im US-Bundesstaat Alabama liegt bei sieben Milliarden Euro, der Marktwert jedoch eher unter vier Milliarden. Wir erwarten also deutlich höhere Abschreibungen“. Hinzu kämen weitere Belastungen oder Schadensersatzforderungen wegen der Kartellverstöße und der Schmiergeldzahlungen, die Thyssen-Krupp vorgeworfen werden. Nun müsse man befürchten, dass der Stahlstandort Deutschland auf dem Prüfstand stehe.
70 Kilometer entfernt von Rio de Janeiro lässt sich besichtigen, was Thyssen-Krupp ins Straucheln brachte: die Hochöfen, die Kokerei, das Kraftwerk, das zwischen Meer und den Favelas von Rio de Janeiro liegende Werk. Im September 2006, als Ekkehard Schulz, der damalige Vorstandschef von Thyssen-Krupp, den ersten Spatenstich hier tat, schien die Zukunft noch glorreich. Und auch die Zahlen, mit denen die Unternehmensberatung Mc Kinsey in ihrer Machbarkeitsstudie arbeitete, versprachen Großes.
Investition in Brasilien - Es ging auch um laxere Umweltauflagen
Jede brasilianische Bramme sollte pro Tonne Stahl 55 Dollar günstiger als in Deutschland produziert werden. Mit preiswerterer Energie, geringeren Löhnen, laxeren Umweltauflagen. Millionen Tonnen Stahl sollten per Schiff transportiert, in Deutschland oder in den USA veredelt werden. Ein vermeintlich lukratives Großinvestment.
Die Realität freilich war eine andere. Das Gelände entpuppte sich als so sumpfig, dass der Grund später für Millionen Euro Kosten mit Pfählen befestigt werden musste. Vor allem aber entschied man sich in der Thyssen-Kruppschen Vorstandsetage, das Werk durch eine chinesische Firma bauen zu lassen, anstatt von der eigenen deutschen Tochterfirma Uhde. Eine Entscheidung, die fatale Folgen haben sollte. Von Jahr zu Jahr verteuerte sich der Bau, bis heute läuft das Werk wegen technischer Probleme nicht auf voller Kraft. Die Bramme Stahl ist längst 170 Dollar teurer als die aus deutscher Produktion.
Die Kokerei: gebaut, abgerissen, neu gebaut
Und die Kokerei, die von den Chinesen errichtet wurde, ist wieder abgerissen. Uhde, die wegen ihres teureren Angebots einst abgelehnt wurde, hat an selber Stelle inzwischen eine neue gebaut. Auch das natürlich nicht umsonst.
Hinzu kamen ab 2007 die Proteste der Fischer wegen der Verschmutzung ihrer fischreichen Küste. Und kaum war das Werk im Juni 2010 endlich eröffnet, regnete es grobkörnigen und silbernen Staub. Anwohner protestierten, klagten schließlich. Der Staub erwies sich als durch giftige Schwermetalle belastet. Die Staatsanwaltschaft von Rio de Janeiro erhob wenig später Anklage wegen massiver Umweltverstöße.
„Herr Cromme, wie oft waren Sie dort?“
All die Verzögerungen, die baulichen, technischen und umweltbelastenden Mängel will niemand im Vorstand, im Aufsichtsrat rechtzeitig erkannt haben. „Herr Cromme, wie oft waren Sie selbst dort?“, fragte ein Aktionär auf der Hauptversammlung im Januar. Nun steht die nächste Hauptversammlung an. Wird man die Verantwortlichen im Vorstand tatsächlich entlasten können? Das fragt sich auch DSW-Geschäftsführer Thomas Hechtfischer: „Es heißt, dass es neue Erkenntnisse zu Brasilien geben soll.“