Lüneburg. Nach über 70 Jahren könnte Oskar G. verurteilt werden. Er mordete nicht, gesteht aber, für die SS geplündert zu haben. Das wäre Beihilfe zum Mord.

In einem der letzten großen Auschwitz-Prozesse hat ein 93-jähriger früherer SS-Mann ein umfangreiches Geständnis abgelegt. "Für mich steht außer Frage, dass ich mich moralisch mitschuldig gemacht habe", sagte der Angeklagte Oskar G. am Dienstag vor dem Landgericht in Lüneburg.

G. räumte ein, 1942 gleich bei seiner Ankunft im Konzentrationslager Auschwitz von der Vergasung der Juden erfahren zu haben. Heute bereue er sein Handeln in Demut vor den Opfern. "Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden."

Der frühere SS-Mann muss sich wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verantworten. Unter den rund 60 Nebenklägern in dem Verfahren sind zahlreiche Holocaust-Überlebende und Angehörige. G. räumte ein, 1942 gleich bei seiner Ankunft von der Vergasung der Juden im Konzentrationslager Auschwitz erfahren zu haben. "Ich bitte um Vergebung. Über die Frage der strafrechtlichen Schuld müssen Sie entscheiden."

Gepäck in Auschwitz-Birkenau weggeschafft

In seiner knapp einstündigen Aussage räumte der damalige Freiwillige der Waffen-SS alle Vorwürfe der Anklage ein. Demnach half er im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Geld aus dem von den Häftlingen zurückgelassenen Gepäck wegzuschaffen, um es an die SS weiterzuleiten. So habe er dem NS-Regime wirtschaftliche Vorteile verschafft und das systematische Töten der Nationalsozialisten unterstützt, wirft ihm die Anklage vor. Der gelernte Bankangestellte wurde später auch "Buchhalter von Auschwitz" genannt.

Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hier wurden allein im Rahmen der
Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hier wurden allein im Rahmen der "Ungarn-Aktion" 1944 mindestens 300.000 Menschen ermordet. Um dieses Verbrechen geht es in dem Lüneburger Prozess. © dpa | Unbekannt

G. steht erst jetzt vor Gericht, weil die Justiz bis 2011 darauf bestand, dass KZ-Aufsehern eine direkte Beteiligung an den Morden nachgewiesen werden muss. Frühere Ermittlungen gegen den SS-Mann waren daher 1985 eingestellt worden. Erst nachdem die Zentralstelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen ihre Beurteilung änderte, kamen die Ermittlungen gegen G. und einige andere KZ-Aufseher wieder in Gang.

Unter den mehr als 60 Nebenklägern sind Holocaust-Überlebende und Angehörige von Opfern. Es gehe ihnen um eine späte Gerechtigkeit, nicht um Rache oder eine hohe Strafe, sagten Auschwitz-Überlebende über den Prozess.  Sollte der 93-Jährige verurteilt und für haftfähig erklärt werden, erwartet ihn eine Strafe von mindestens drei Jahren. Das Interesse ausländischer Medien an dem Verfahren ist groß. (dpa)

Auschwitz - Todesfabrik der Nazis

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Die Rampe von Auschwitz-Birkenau: Symbol für die Todesfabrik, die die Nationalsozialisten hier aufgebaut haben. Am 27. Januar 1945...
Die Rampe von Auschwitz-Birkenau: Symbol für die Todesfabrik, die die Nationalsozialisten hier aufgebaut haben. Am 27. Januar 1945... © Wiener Library/Handout/Archiv | dpa
... befreiten Soldaten der Roten Armee dort die letzten Gefangenen. Nur 7000 Menschen...
... befreiten Soldaten der Roten Armee dort die letzten Gefangenen. Nur 7000 Menschen... © imago stock&people | imago stock&people
... konnten das Lager lebend verlassen.
... konnten das Lager lebend verlassen. © imago stock&people | imago stock&people
Anfangs ein Konzentrationslager für polnische politische Gefangene, wurde Auschwitz zu einem weltweiten Symbol für den nationalsozialistischen Judenmord. Die Nationalsozialisten...
Anfangs ein Konzentrationslager für polnische politische Gefangene, wurde Auschwitz zu einem weltweiten Symbol für den nationalsozialistischen Judenmord. Die Nationalsozialisten... © dpa | dpa
... richteten das Lager auf Befehl von SS-Reichsführer Heinrich Himmler (undatiertes Foto) im Sommer 1940 am Rande des besetzten polnischen Städtchens Oswiecim auf einem ehemaligen Kasernengelände ein. Das Lagertor...
... richteten das Lager auf Befehl von SS-Reichsführer Heinrich Himmler (undatiertes Foto) im Sommer 1940 am Rande des besetzten polnischen Städtchens Oswiecim auf einem ehemaligen Kasernengelände ein. Das Lagertor... © picture-alliance/ dpa | picture-alliance/ dpa
... mit der zynischen Aufschrift
... mit der zynischen Aufschrift "Arbeit macht frei" mussten Häftlinge schmieden. Als die Nazi-Pläne zur Vernichtung der europäischen Juden Gestalt annahmen,... © Getty Images | Getty Images
... wurde etwa drei Kilometer von Auschwitz entfernt das Lager Birkenau gebaut.
... wurde etwa drei Kilometer von Auschwitz entfernt das Lager Birkenau gebaut. © dpa | dpa
Züge aus ganz Europa rollten zu der so genannten
Züge aus ganz Europa rollten zu der so genannten "Judenrampe",... © picture alliance / dpa | picture alliance / dpa
... an der die Neuankömmlinge von der SS
... an der die Neuankömmlinge von der SS "selektiert" wurden. Wer noch stark genug für Zwangsarbeit in einem der umliegenden deutschen Industriebetriebe war, hatte eine Chance, zumindest Wochen oder Monate zu überleben. © Getty Images | Getty Images
Das undatierte Archivbild zeigt das Konzentrationslager der IG-Farben in Auschwitz-Monowitz, in dem mindestens 30.000 Zwangsarbeiter getötet worden sind. Die IG-Farben-Gesellschaft Degesch produzierte dort das berüchtigte Gift
Das undatierte Archivbild zeigt das Konzentrationslager der IG-Farben in Auschwitz-Monowitz, in dem mindestens 30.000 Zwangsarbeiter getötet worden sind. Die IG-Farben-Gesellschaft Degesch produzierte dort das berüchtigte Gift "Zyklon-B" für die Vernichtungs-Gaskammern. © picture-alliance / dpa | picture-alliance / dpa
Doch Tausende wurden Tag für Tag direkt von der Rampe in die Gaskammern von Birkenau - und damit in den Tod - geschickt. Die genaue Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Wissenschaftler...
Doch Tausende wurden Tag für Tag direkt von der Rampe in die Gaskammern von Birkenau - und damit in den Tod - geschickt. Die genaue Zahl der Opfer kann nur geschätzt werden. Wissenschaftler... © Getty Images | Getty Images
... gehen von mindestens 1,3 Millionen in Auschwitz-Birkenau ermordeten Menschen aus. Mindestens 1,1 Millionen von ihnen waren Juden.
... gehen von mindestens 1,3 Millionen in Auschwitz-Birkenau ermordeten Menschen aus. Mindestens 1,1 Millionen von ihnen waren Juden. © Getty Images | Getty Images
Aber auch Zehntausende Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene und politische Häftlinge starben in Auschwitz.
Aber auch Zehntausende Sinti und Roma, sowjetische Kriegsgefangene und politische Häftlinge starben in Auschwitz. © Getty Images | Getty Images
Vom Ausmaß des industrialisierten Massenmords zeugt bis heute die Ausstellung dessen, was den Häftlingen in Auschwitz abgenommen wurde: Unzählige Brillen,...
Vom Ausmaß des industrialisierten Massenmords zeugt bis heute die Ausstellung dessen, was den Häftlingen in Auschwitz abgenommen wurde: Unzählige Brillen,... © Getty Images | Getty Images
... Schuhe,...
... Schuhe,... © Getty Images | Getty Images
... Bürsten,...
... Bürsten,... © Getty Images | Getty Images
... Taschen...
... Taschen... © Getty Images | Getty Images
... und Geschirr...
... und Geschirr... © Getty Images | Getty Images
... sowie Prothesen sind in der Gedenkstätte in Oswiecim aufbewahrt - als erschütterndes Mahnmal.
... sowie Prothesen sind in der Gedenkstätte in Oswiecim aufbewahrt - als erschütterndes Mahnmal. © Getty Images | Getty Images
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