Berlin.. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) sprach im Interview mit unserem Berlin-Korrespondenten Miguel Sanches über die Wehrreform, Waffenlieferungen nach Syrien, den Mali-Einsatz, die Stimmung in der Truppe und mehr.
Die Bundeswehr ist riesig, von den Dimensionen: Ein Konzern. Und nach oben gibt man - allzu gern - nur Erfolgsmeldungen weiter. Mit unserer Zeitung sprach Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) darüber, wie er sich um ein ungeschminktes Bild bemüht, von der Stimmung in der Truppe bis zur Lage in Afghanistan.
Herr de Maizière, über die Wehrreform spöttelt die SPD, „nur vom Feldherrenhügel sieht es so aus, als ob alles glattläuft.“ Läuft es glatt?
Thomas de Maizière: Wir krempeln rund 5000 der 6400 Organisationseinheiten um. Gleichzeitig bleibt die Bundeswehr im Einsatz. Ein US-Kollege sagte mir mal, „ihr macht eine Operation am offenen Herzen und erwartet, dass der Patient auf der Straße spazieren geht“. Das ist ein plastisches Bild.
Im offiziellen Bericht Ihres Hauses heißt es, die Reform brauche Zeit für „Akzeptanz“. Da ahnt man, wie es um die Stimmung in der Truppe steht.
De Maizière: Wir gehen mit der Zahl der Beschäftigten von damals über 300.000 auf 240.000 runter. Da gibt es viele Veränderungen und Versetzungen. Und das führt einfach auch zu Unsicherheit, Unzufriedenheit.
Fragt man sich als Chef, was dringt bis ganz oben – bis zu mir - durch?
De Maizière: Machen Sie sich die Dimensionen bewusst. Wir sind vom Umfang her wie ein großer Konzern. Eine kämpfende Truppe, eine Fluglinie, eine Reederei, Logistik und vieles mehr. Vieles ist im Umbruch, hierarchisch aufgebaut. Es gibt immer die nur zu menschliche Tendenz, nach oben eher Erfolge zu melden. Ich weiß das.
Wie gehen Sie damit um?
De Maizière: Man muss zwischen den Zeilen lesen. Man darf nicht auf die Informationen warten, sondern muss gezielt fragen. Es gibt viele Sensoren, wie etwa die Personalräte und Vertrauenspersonen. Mit denen rede ich bei Truppenbesuchen – allein, ohne deren Chef.
Was ist Chefsache? Lassen Sie es uns die Frage durchspielen. Eine Zeitung berichtete, dass Soldaten unerlaubt für Sicherheitsfirmen arbeiten. Und?
De Maizière: Das wäre zunächst mal ein Verstoß. Natürlich frage ich nach. Das heißt nicht, dass ich das Problem selbst lösen sollte. Das müssen die Verantwortlichen vor Ort tun. Dort liegt die Ermittlungspflicht bei einem möglichen Verstoß. Das ist auch richtig, denn die kennen ihre Pappenheimer.
Ausbildungsberichte aus Afghanistan werden korrigiert, gefiltert. Ist das im Sinne des Chefs?
De Maizière: Zunächst einmal, es werden keine Berichte geschönt. Aber zur Frage: Nein. Generell ist aber festzustellen, dass die Bundeswehr wie kaum eine andere Organisation darauf angelegt ist, aus Fehlern zu lernen. Ich persönlich versuche mir ein ungeschminktes Bild zu machen, indem ich oft die Truppe – im Inland wie im Ausland - besuche und mit allen Dienstgraden rede.
Ist das Schicksal ihrer zivilen afghanischen Mitarbeiter Chefsache?
De Maizière: Für die Ortskräfte empfinde ich Verantwortung. Sie sollten zwar vordringlich in Afghanistan bleiben. Da haben sie eine wichtige Brückenfunktion in der Zukunft. Aber, wenn sie wirklich gefährdet sind, weil sie mit uns zusammengearbeitet haben, helfen wir ihnen. Über jeden Einzelfall muss aber vor Ort entschieden werden, nicht in Berlin.
Anfang Mai starb ein Bundeswehr-Soldat in Afghanistan. Ein Hubschrauber wurde angegriffen. Ist der Norden unsicherer als gedacht?
De Maizière: Der Norden ist zwar sicherer als der Süden. Insgesamt bleibt die Sicherheitslage aber labil. Wir werden wohl auch nach 2014 kein wirklich friedliches Afghanistan erleben.
Auf dem Kirchentag sagten Sie, den Soldaten in Afghanistan dürfe man auch mal Danke sagen. Gilt noch ihre Mahnung, die Bundeswehr solle nicht fehlende Wertschätzung beklagen?
De Maizière: Unsere Soldatinnen und Soldaten erfahren hohe Wertschätzung. Das ist in den letzten Jahren viel besser geworden.
Dass die Soldaten nach Anerkennung gieren, haben Sie zurückgenommen. Ihre Botschaft war eigentlich: Seid stolzer, selbstbewusster! Dringen Sie damit durch?
De Maizière: Ja, durchaus. Wenn ich mit den Soldaten direkt darüber rede, erscheint mir die Sache nach zehn Minuten geklärt. Das ist aber vielleicht so ein Punkt, wo man mir als Minister nicht unbefangen entgegen tritt.
Was halten Sie davon, Waffen nach Syrien zu liefern?
De Maizière: Sehr wenig. Wir wissen nicht, wem wir die Waffen liefern und was die damit machen würden. Ich zweifele an der Zuverlässigkeit der so genannten Rebellen. Dass der amerikanische und der russische Außenminister alle an einen Tisch bringen wollen, ist für mich das erste richtige und wichtige Signal seit Wochen.
In Mali steht ab Juli eine UN-Mission an. Brauchen wir ein neues Mandat?
De Maizière: Wir besprechen das derzeit innerhalb der Regierung. Ich kann mir vorstellen, Transport und logistische Unterstützung wie bisher fortzusetzen, dann aber im Auftrag der UN. Ob wir ein neues Mandat brauchen, müssen wir noch klären.
Wie dringlich ist die Beschaffung von Kampfdrohnen?
De Maizière: Es wird noch bis Anfang des nächsten Jahrzehnts dauern, bis die Europäer eigene, bewaffnungsfähige Drohnen entwickelt haben. Bis dahin sollte die Bundeswehr nicht ohne eine solche Fähigkeit dastehen.
Wieso? Die Bundeswehr zieht aus Afghanistan ab?
De Maizière: Wir wollen bewaffnungsfähige Drohnen ja nicht nur wegen unserer Erfahrungen in Afghanistan beschaffen. Die Bundeswehr ist in vielen Einsätzen aktiv. Niemand weiß, welche Einsätze noch auf uns zukommen. Und da sollte die Bundeswehr auch zum Schutz unserer Soldaten über bewaffnete Drohnen verfügen.
Ist die Drohne eine feige Waffe?
De Maizière: Nein. Man ist im Gefecht immer darum bemüht, nicht getroffen zu werden, aber seinen Gegner überraschend zu treffen. Das gilt für jedes Artilleriegeschoss, Torpedos oder Raketen.
Und da kommen die Laien mit ihren Bedenken, ihrem Unbehagen. Können Sie damit was anfangen?
De Maizière: Natürlich. Ich verstehe das. Das führt mich zu einem interessanten Punkt. Wir führen in Deutschland inzwischen eine fundierte Debatte, ob militärische Gewalt legitim ist. Aber wie wir militärische Gewalt einsetzen, damit möchten sich viele dann nicht mehr beschäftigen. Wenn es heißt, dass Drohen gezielt töten, dann entgegne ich: Das ist jedem ungezielten Kollateralschaden vorzuziehen. Wir müssen solche Themen diskutieren.