Oberhausen.. Premierminister Yildirim wirbt am Samstag vor 10.000 Türkeistämmigen in Oberhausen für umstrittene Verfassungsreform. Politiker kritisieren das.

Im Dienste seines Staatschefs Recep Tayyip Erdogan wagt sich der türkische Ministerpräsident sogar in die „König-Pilsener-Arena“ von Oberhausen: Am Samstagmittag tritt Binali Yildirim bei einer von der türkischen Regierungspartei AKP organisierten Großveranstaltung vor rund 10 000 Erdogan-Anhängern auf. In der Türkei dürfte es so eine „Köpi-Arena“ gar nicht geben: Werbung für Bier hat die AKP dort verboten.

Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten hat bereits im Vorfeld für erheblichen Unmut gesorgt. Er findet nur zwei Monate vor dem von Erdogan angestrebten Referendum statt, mit dem die Rechte des Parlaments beschnitten und die Macht des Staatschefs erheblich gestärkt werden soll. In Oberhausen wird Yildirim um die Stimmen der wahlberechtigten Deutsch-Türken werben. Bundes- und Landespolitiker kritisieren den Besuch scharf.

Lindner: Yildirims Auftritt verbieten

Es dürfe nicht sein, dass die massiven Konflikte in der Türkei nach Deutschland getragen werden, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Ibrahim Yetim: „Mit der angestrebten Verfassungsänderung will Erdogan Errungenschaften abschaffen, die auch Türken in Deutschland schätzen.“ Demokratie, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die Gewissheit, sich an unabhängige Gerichte wenden zu können – all das sei in der Türkei faktisch nicht mehr vorhanden, warnte er.

Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, erinnerte an die Verfolgung von Kritikern in der Türkei: „Es gibt einem schon zu denken, dass der türkische Ministerpräsident Yildirim Wahlkampf für einen Staat von Erdogans Gnaden unter den in Deutschland lebenden türkischen Staatsbürgern macht, während die Opposition in der Türkei in Gefängnissen schmort.“ FDP-Parteichef Christian Lindner forderte das Verbot der Veranstaltung. „Türkische Innenpolitik, Staatspropaganda und Wahlkampfauftritte von Regierungsmitgliedern haben hier nichts zu suchen“, so Lindner. Die Aussicht auf ein Verbot ist indes gering: Der private Arena-Betreiber SMG sieht die Verantwortung bei Politik und Behörden. Das NRW-Innenministerium verweist auf die verfassungsrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit.

Auftritte türkischer Politiker mobilisieren Massen

Ein Sprecher der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, dem verlängerten AKP-Arm in Deutschland, bestritt, dass es sich bei dem Auftritt um Wahlwerbung handele. Offizieller Anlass für Yildirims Deutschlandbesuch sei seine Teilnahme an der Sicherheitskonferenz in München, nach der er Kontakt zu Türkeistämmigen suche.

In NRW leben rund eine Million Türkeistämmige. Bei den jüngsten Wahlen votierten drei Viertel der Stimmberechtigten für Erdogan – prozentual mehr als im Gesamtergebnis. Auftritte türkischer Politiker mobilisieren immer wieder Massen. 2014 jubelten 20 000 Türken Erdogan in Köln zu, nach dem gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 demonstrierten dort rund 30 000 für ihn. Erdogans Auftritt per Video-Schalte aus der Türkei untersagten die Gerichte damals allerdings.

In Oberhausen stellt sich die Polizei indes auf eine Großlage mit bisher zwei angemeldeten Gegendemonstrationen ein. Unterstützung aus den Nachbarstädten sei angefordert. Wegen Yildirims Besuch ist ein Fußballspiel von Rot-Weiß Oberhausen gegen BVB II abgesagt worden. Die Polizei konnte nicht ausreichend Sicherheitskräfte abstellen.

Zukunft der Türkei entscheidet sich auch in Deutschland

Mit dem Auftritt von Premierminister Binali Yildirim in Oberhausen kommt die türkische Innenpolitik einmal mehr nach Deutschland. Die Umfragen sehen Befürworter und Gegner der von Erdoğan angestrebten Verfassungsreform Kopf an Kopf. Deshalb wird über Erdoğans Zukunft auch in Deutschland entschieden. Unter den Deutsch-Türken hat er prozentual noch mehr Anhänger als in der Türkei.

Da der Ausgang des Referendums in zwei Monaten noch offen scheint, zieht die Regierung jetzt alle Register. Während Yildirim in Deutschland für das Präsidialsystem wirbt, bereist Erdoğan am Wochenende fünf anatolische Provinzen. Es ist der Auftakt einer Kampagne, die den Staatschef fast durch das ganze Land führen wird. Auch ein Auftritt in Deutschland ist denkbar. Dass sich der Staatschef persönlich so stark engagiert, hat Gründe. Die öffentliche Unterstützung für die Verfassungsänderung sei noch „unzureichend“, die Wähler müssten „besser informiert“ werden, sagte Erdoğan jetzt.

Zugleich geht die Regierung weiter mit großer Härte gegen Kritiker und Gegner vor. Mit einem Dekret ordnete der Staatschef vergangene Woche die Entlassung von weiteren 4464 Staatsbediensteten an. Der EU-Menschenrechtskommissar Nils Muiznieks sieht die Türkei auf einem „gefährlichen Weg“. Der Raum für die Demokratie sei „alarmierend geschrumpft“. (mit dpa)