Essen. Viele SPD-Mitglieder an der Basis können die plötzliche Begeisterung der Parteispitze für eine Große Koalition nicht teilen. Sie vermissen die “Trophäe“, die ihnen als Preis für Koalitionsverhandlungen mit der Union versprochen wurde. Doch es gibt allenfalls unverbindliche Zusagen.

Die SPD-Spitze hat sich mächtig in die Kurve gelegt, als sie mit Vollgas auf den Kurs zu schwarz-roten Koalitionsverhandlungen einschwenkte. Offenbar haben die Gabriels, Krafts und Steinmeiers bei ihrem Manöver vom Donnerstag nicht einkalkuliert, dass der Parteibasis das vorgelegte Tempo zu schnell und halsbrecherisch sein könnte. Nun droht die Basis mit der Notbremse.

So manches SPD-Mitglied hat – vorsichtig ausdrückt – erhebliche Bedenken gegen die plötzliche Begeisterung der Partei-Oberen für Verhandlungen mit CDU und CSU. Die Vorbehalte kommen nicht von ungefähr. Hatten die Frontleute doch selbst den Eindruck erweckt, man würde nicht ohne „Trophäe“, also ohne eine Zusage der Union in einem der Knackpunkte der SPD, aus den Sondierungsgesprächen kommen. Nun gibt es allenfalls unverbindliche Zusagen oder Andeutungen über angebliche geheime Absprachen der drei Parteichefs.

Große Aversion vieler SPD-Mitglieder gegen Zusammenarbeit mit Union

Das dürfte vermutlich reichen, um der Mehrheit der Delegierten des SPD-Konvents am Sonntag ein „Ja“ für die Aufnahme der Verhandlungen abzuringen. Im Hinblick auf die Mitgliederbefragung, die am Ende bei der SPD über den Koalitionsvertrag entscheiden soll, könnte sich die plötzliche Begeisterung der Parteispitze für eine Große Koalition jedoch eben so verheerend auswirken wie der demonstrative öffentliche Schulterschluss Hannelore Krafts mit CSU-Mann Dobrindt auf dem Balkon.

Die Aversion vieler SPD-Mitglieder gegen eine Zusammenarbeit mit der Union ist groß. Vielen –  das beweist auch eine Umfrage der WAZ in der Region – geht ein schwarz-rotes Bündnis gegen den Strich. Da ist vieles emotional begründet. Es wäre die Rolle der von der SPD-Basis hoch geschätzten Kraft gewesen, die Skeptiker in den eigenen Reihen mit guten Argumenten umzustimmen. Doch mit ihrer erstaunlichen Wandlung von der größten Skeptikerin zur Fürsprecherin von Koalitionsgesprächen hat Kraft sich dieser Position selbst beraubt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD-Mitglieder eine Große Koalition ablehnen, ist seit Donnerstag jedenfalls wieder gestiegen.