Oradour-sur-Glane.. Als erster Bundespräsident verbeugt sich Joachim Gauck vor den Opfern des Massakers von Oradour. 642 Menschen wurden hier von SS-Soldaten ermordet, der kleine Ort ausgelöscht. Die Begegnung erinnert an Kanzler Kohl und Präsident Mitterrand 1984 in Verdun.
Es war ein emotionaler Besuch und er war mit Spannung erwartet worden: Das französische Fernsehen übertrug drei Stunden lang live, als sich Bundespräsident Joachim Gauck gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande durch die Ruinen von Oradour-sur-Glane führen ließ – durch jenes Dorf also, in dem SS-Soldaten im Juli 1944 mehr als 600 Menschen ermordeten.
Oradour ist seitdem das „Dorf der Schande“. Noch nie war ein deutscher Spitzenpolitiker hierher gekommen. In Hollandes Augen ist diese heikle Einladung im Jahr des 50. Geburtstags des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags gleichzeitig eine Geste des Vertrauens und ein Beweis der Aussöhnung zwischen den einstigen Erzfeinden.
Hand in Hand in der ausgebrannten Kirche
Dem unvergessenen Händedruck, den Francois Mitterrand und Helmut Kohl 1984 über den Kriegsgräbern von Verdun austauschten, fügten Hollande und Gauck ganz bewusst ein weiteres Bild hinzu, das im Gedächtnis bleiben wird: In der ausgebrannten Kirche von Oradour verharrten beide Staatsoberhäupter minutenlang stumm und Hand in Hand mit dem 88-jährigen Robert Hébras, der zu den nur sechs Überlebenden des SS-Massakers gehört.
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Als „emotionalen Höhepunkt“ seiner Reise wertete Joachim Gauck, der seine Erschütterung nicht zu verbergen suchte, den Aufenthalt in Oradour-sur-Glane. In einer Ansprache vor Angehörigen der Opferfamilien gestand er ein, dass das Entsetzen über die Verbrechen, die in dem Ort unter deutschem Kommando verübt wurden, schwer auf ihm laste. „Ich werde in meinem Land davon sprechen und dabei nicht verstummen“, fügte der Präsident hinzu.
In dem winzigen Dorf im Südwesten Frankreichs hatten SS-Soldaten auf besonders grausame Weise 642 Zivilisten getötet, unter ihnen zahlreiche Frauen und Kinder. Sowohl die französische als auch die deutsche Justiz versagten bei der Aufarbeitung des Verbrechens. „Ich teile Ihre Bitterkeit darüber, dass Mörder nicht zur Rechenschaft gezogen wurden, dass schwerste Verbrechen ungesühnt blieben“, sagte Gauck zu den Angehörigen der Opfer.
Klartext beim Thema Reformen
Von der deutsch-französischen Freundschaft ist sehr viel die Rede bei dem Besuch. Dabei machte der Deutsche klar, da er auf Klartext im bilateralen Umgang zu setzen gedenkt. Offen sprach Gauck die Notwendigkeit zu Sozialreformen an. Er ermunterte Hollande, dem Vorbild Deutschlands zu folgen.
„Ich freue mich immer, wenn Konsolidierungs- und Reformschritte konkret angegangen werden“, so Gauck. Zwar sei ein Mentalitätswandel kompliziert. Aber in Deutschland sei der Mut zu Reformen belohnt worden, ohne dass die Arbeitnehmer dabei den Kürzeren gezogen hätten.