Düsseldorf. Seit zwei Jahren fallen alle über sie her, doch sie hält freundlich Kurs. Was treibt FDP-Schulministerin Yvonne Gebauer an?
Wer es übel mit ihr meint, und davon gibt es seit knapp zwei Jahren ja einige, könnte die Regierungsbank des Düsseldorfer Landtags an diesem Freitagmorgen um kurz nach zehn als symbolhaftes Bild nehmen. Es ist einsam um Yvonne Gebauer. Die Schulministerin sitzt ganz allein vorn im Plenarsaal auf den Plätzen der Macht. Weder Neu-Ministerpräsident Hendrik Wüst ist da noch ein einziger ihrer elf Kabinettskollegen.
Gewiss gibt es bloß Terminüberschneidungen, doch manches Regierungsmitglied dürfte nicht allzu traurig sein, Gebauer keinen Beistand leisten zu müssen. Die Beratungen starten schließlich mit einer „Aktuellen Stunde“ zu einem Reizthema, bei dem es für die schwarz-gelbe Landesregierung nichts zu gewinnen gibt: Abschaffung der Maskenpflicht im Unterricht seit vergangenem Dienstag.
Gebauer trägt eine schwarze Lederjacke, am Platz selbstverständlich keine Maske, setzt die Lesebrille auf und geht ihr Redemanuskript mit einem roten Fineliner durch. Ab und an dreht sie sich länger zum ihrem Staatssekretär Mathias Richter um. All die herben Vorwürfe, die ihr derweil vom Rednerpult entgegengeschleudert werden, nimmt sie fast routiniert hin.
Eine risikofreudige Meisterin des Anti-Timings?
Die Abgeordneten von SPD und Grünen zeichnen Gebauer als risikofreudige Meisterin des Anti-Timings: Sie schaffe die Maskenpflicht im Unterricht aus ideologischen Gründen mitten hinein in die rollende vierte Corona-Welle ab, während Bayern sie ab Montag wieder einführe. Sie nehme gesundheitliche Risiken und massenhafte Quarantäne-Anordnungen in Kauf. Sie schiebe Verantwortung für die Eindämmung der Pandemie auf Kinder, Eltern und Lehrer ab.
Grünen-Schulexpertin Sigrid Beer wirft Gebauer am Ende ihrer Kritik-Kaskade ein „falsches Freiheitsverständnis“ vor und berührt damit einen interessanten Punkt. Seit Ausbruch der Pandemie gilt die Schulministerin in den Lehrerzimmern des Landes als Dienstherrin mit den wenigsten Fans aller Zeiten. Sie wird in den sozialen Netzwerken übel beleidigt. Sie wird mit Schmähmails überschüttet. Es gibt Schüler-Resolutionen. Eltern haben sie angezeigt. Umfragen bescheinigen im Wochenrhythmus, dass sie quer steht zum Meinungsmainstream.
Gebauer hält Kurs - komme, was wolle
Doch Gebauer hält Kurs. Die FDP-Politikern will und kann wohl nicht anders. Corona-Maßnahmen widersprechen ihrem liberalen Menschenbild und Freiheitsverständnis. Gebauer ist die erste Schulministerin, die nicht selbst einmal Lehrerin war. Nach dem Abitur machte sie eine Lehre zur Rechtsanwaltsfachangestellten, führte später ein Langzeithotel und wurde Geschäftsführerin einer Immobilienfirma. Ihr Vater, der Liberale Wolfgang Leirich, war in den 70er und 80er Jahren Schuldezernent in Köln.
Am Freitag verteidigt die 55-Jährige abermals im Landtag äußerlich gelassen ihre Position. Erstens: Schulen sind keine Treiber der Pandemie. Zweitens: Kinder haben genug schädliche Corona-Einschränkungen hingenommen und sollen wieder einen möglichst normalen Schulalltag erleben können. Drittens: Extrem selten erkranken Kinder schwer an Corona. Viertens: Präsenzunterricht ohne Maske mit engmaschigen Tests leistet einen ausreichenden Beitrag zur Eindämmung der Pandemie. Fünftens: 90 Prozent der Lehrkräfte und bereits 50 Prozent der 12- bis 17-Jährigen sind geimpft.
Die SPD-Opposition hat schon vor einem Jahr Gebauers Rücktritt gefordert. Über Monate hatte die Schulministerin damals erbittert an einem Regelbetrieb in den Schulen festgehalten und das Distanzlernen von zuhause verboten, um dann ansatzlos die Präsenzpflicht aufzugeben. Ein Zickzack-Kurs, der wütende Reaktionen hervorrief. Wichtige Erlasse erreichten die Schulen zuverlässig erst am Freitagnachmittag. Digitalunterricht hing lange vom Engagement der einzelnen Lehrkraft ab. Die Versorgung der Schulen mit Luftfilter-Geräten hakt bis heute.
Professioneller Umgang mit beißender Kritik
Doch Gebauer scheint von ihrer Linie überzeugt. Duckt sich nicht weg, sondern zieht durch. Was der Mutter eines erwachsenen Sohnes kaum jemand zugetraut hat: Sie geht selbst mit beißender Kritik professionell um. Während sich andere Minister reflexhaft über missgünstige Medien und unredliche Oppositionspolitiker mokieren, bleibt Gebauer freundlich und beharrlich. Allenfalls ihre Neigung zu Seufzern in öffentlichen Reden verrät, dass der Schulbetrieb mit 2,5 Millionen Schülern, 200.000 Lehrern, fünf Bezirksregierungen und 300 Ministeriumsmitarbeitern kein Ponyhof ist, auf dem sich Pferdezüchterin Gebauer übrigens auch auskennt.
Selbst der neue Ministerpräsident Wüst, der sich anders als „Lockerer“ Armin Laschet in der Corona-Politik eher dem Team Vorsicht zuordnet, ließ sie bei der Abschaffung der Maskenpflicht gewähren. Auch wenn darüber alle Erfolge der Legislaturperiode in den Hintergrund rücken. Abschaffung des Turbo-Abiturs, Befriedung des Streits um die Inklusion, neue „Talentschulen“, zusätzliche Lehrerstellen, Riesensummen für die Digitalisierung – war das was? Bildungspolitik made in NRW dürfte bei der Landtagswahl im Mai als Gebauers Corona-Ärger in Dauerschleife in Erinnerung bleiben.