Düsseldorf. Die Landtagswahl wird für die SPD trotz des unverhofften Kanzler-Bonus' kein Selbstläufer. Doch der Erfolg im Bund dient als Blaupause.
Als sich Kevin Kühnert am Freitagmorgen zum digitalen Pressegespräch aus dem Berliner Willy-Brandt-Haus meldet, hat der neue SPD-Generalsekretär bereits das erste Werbevideo für die Landtagswahl bei Twitter veröffentlicht. Schnelle Schnitte, heitere Musik, lachende Kinder, soziale Versprechen von bezahlbaren Mieten bis zu guter Arbeit - und am Ende ein zuversichtlicher Spitzenkandidat Thomas Kutschaty im Morgenrot.
Man sei wild entschlossen, aus der überraschend gewonnenen Bundestagswahl „kein One-Hit-Wonder zu machen“, sagt Kühnert. In 100 Tagen wollen die Sozialdemokraten die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW ablösen und ihre einstige „Herzkammer“ zurückerobern. „Es ist für die SPD nicht irgendein Bundesland, sondern eins, das wir besonders fühlen und in unserer DNA haben“, so Kühnert.
NRW-Stimmen für den Bundesrat wichtig
Es geht aber nicht nur um die Macht im größten Bundesland, sondern auch um sechs Stimmen im Bundesrat, die das Durchregieren der Ampel-Bundesregierung deutlich erleichtern würden. „Wie die politischen Mehrheiten in Nordrhein-Westfalen stehen, ist nicht zuletzt entscheidend dafür, welche Politik in Berlin gemacht werden kann“, erklärt Kühnert.
Die Umfragen schwanken zurzeit noch stark, die Ausgangslage scheint deshalb in Düsseldorf völlig offen. Der von den Sozialdemokraten in NRW erhoffte kräftige „Scholz-Effekt“ ist ausgeblieben. Die von der Union befeuerte Frage, wo der Kanzler eigentlich sei, beantwortet Kühnert spitz: „Da, wo ein Bundeskanzler in einer hochexplosiven, internationalen Krisensituation zu sein hat: am Verhandlungstisch und nicht vor der erstbesten Kamera.“
Der matte Start der Ampel-Bundesregierung von SPD-Kanzler Olaf Scholz hat die Zustimmung bundesweit bröckeln lassen. In NRW liegt die SPD mittlerweile wieder Kopf an Kopf mit der CDU von Neu-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Sichere Vorhersagen, wer ab Mai in der Staatskanzlei sitzt und in welcher Koalition regiert, wagt deshalb kaum jemand.
Handwerklich nimmt sich die NRW-SPD am Bund ein Beispiel
Handwerklich hat sich die NRW-SPD einiges abgeschaut von der erfolgreichen Wahlkampagne ihrer Bundespartei. Man fokussiert sich auf möglichst konkrete Wahlversprechen wie 100.000 neue Wohnungen pro Jahr, beitragsfreie Kitas, eine Absage an Krankenhaus-Schließungspläne oder einen Neuanfang in der seit Ausbruch der Corona-Pandemie verkorksten Schulpolitik. Jeder Genosse im ehemaligen SPD-Land NRW soll dies im Tür-zu-Tür-Wahlkampf herunterbeten können. Das Willy-Brandt-Haus will „Datensätze“ mit Postleitzahl-Bezirken liefern, in denen besonders intensiv geworben wird.
Beißhemmungen gegenüber den neuen Ampel-Freunden von der FDP, mit denen man auch in Düsseldorf künftig regieren möchte, gebe es keinesfalls, betont die Generalsekretärin der Landes-SPD, Nadja Lüders. Das „Schulchaos“, für das die hochumstrittene FDP-Bildungsministerin Yvonne Gebauer verantwortlich gemacht wird, werde man auf jeden Fall thematisieren.
In den sozialen Netzwerken, in denen die SPD schon im Bundestagswahlkampf eine kommunikative Überlegenheit unter Beweis stellte, laufen die Bildungsdebatten längst heiß. Das Problem: Landtagswahlen sind oft Persönlichkeitswahlen. Während Amtsinhaber Wüst zurzeit keiner Fernsehkamera aus dem Weg geht und dadurch bekannter wird, ist Oppositionsführer Kutschaty ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Sogar viele SPD-Anhänger würden laut Umfragen in einer Direktwahl Wüst den Vorzug geben.
Nur zur "Schulhof-Schlägerei" mit dem Kanzler zur MPK?
Kühnert versucht, Wüst als kompasslosen Gernegroß hinzustellen: „Wenn man hauptsächlich zu einer Ministerpräsidenten-Konferenz fährt, um zu versuchen, sich eine Schulhof-Prügelei mit dem Bundeskanzler zu liefern, dann ist das nicht seriös.“ Die Unterstützung der gesamten SPD gelte dem ehemaligen NRW-Justizminister Kutschaty, der nicht nur ein erfahrener Regierungspolitiker sei, sondern „als Kind einer Eisenbahner-Familie auch weiß, was es bedeutet, Zusammenhalt zu leben“. Es fällt schon länger auf, dass der sachliche Kanzlei-Jurist Kutschaty plötzlich als rauflustiges Arbeiterkind, das in einer Essener Wohnung mit Kohleofen aufgewachsen sei, sozialdemokratisch neu entdeckt werden soll.
In welchem Ausmaß Scholz an Rhein und Ruhr Gegen- oder Rückenwind entfachen wird, ist derweil unklar. „Der Kanzler wird so viel vor Ort sein, wie es in schwierigen Zeiten der Kalender zulassen wird“, sagt Kühnert und fügt hinzu: „Ich glaube, dass der Beitrag, den er leisten kann, sich nicht nur daran bemisst, wieviele Marktplätze er in Nordrhein-Westfalen bis Mitte Mai gesehen hat.“