Essen. Die alte Bundesregierung wollte die Löhne in der Pflege erhöhen. Träger müssen Tarifbindung angeben - wer nicht mitzieht, dem drohen Konsequenzen
In Nordrhein-Westfalen bezahlt etwa jeder dritte der über 7000 Betriebe in der Altenpflege seine Beschäftigten nach Tarif. Das geht aus einer Erhebung der Pflegekassen hervor, auf die die AOK Rheinland/Hamburg in einer Mitteilung vom Montag Bezug nimmt. Vorstandsmitglied Matthias Mohrmann vergleicht die Lage in NRW mit der in anderen Bundesländern: „Die Situation in Nordrhein-Westfalen liegt leicht über dem bundesweiten Durchschnitt liegt“, urteilt Mohrmann.
Hintergrund der Erhebung ist die Pflegereform der früheren schwarz-roten Bundesregierung. Ab dem 1. September dürfen Pflegekassen nur noch mit solchen Einrichtungen und Trägern Versorgungsverträge abschließen, die nach Tarif oder tarifähnliche Löhne zahlen. Träger mussten dazu bereits im vergangenen Jahr auf einer geschützten Online-Plattform Informationen angeben. Als nach eigenen Angaben größte gesetzliche Pflegekasse hat die AOK die Daten am heutigen Montag veröffentlicht.
17 verschiedene Tarifverträge und ein Durchschnittslohn von über 20 Euro
Damit gibt es einen seltenen Überblick über die Tarifstrukturen in NRW. Den Angaben zufolge gibt es aktuell 17 Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsrechtsvereinbarungen im Land. Beschäftige von 2.319 stationären Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste erhalten auf der Grundlage dieser Regelungen ihre Löhne.
Die Kassen haben ein regional übliches Entgeltniveau berechnet. Der durchschnittliche Stundenlohn liegt demnach bei 20,59 Euro (brutto). Etwas höher sind die Tariflöhne nur noch in Schleswig-Holstein (20,77 Euro), am niedrigsten sind sie in Sachsen-Anhalt (17,25 Euro).
Lesen Sie auch:NRW-Pflegebranche übt Kritik an Bundes-Pflegereform
Wer eine dreijährige Ausbildung abgeschlossen hat, erhält in NRW im Schnitt 23,28 Euro. Nach einjähriger Ausbildung sind es 19,75 Euro, Hilfspersonal erhält 17,03 Euro. Pflegetypische Zulagen und Sonderzahlungen sind separat erfasst. Zum Vergleich: Der Mindestlohn für ungelernte Pflegehilfskräfte wird laut Bundesgesundheitsministerium bis zum 1. April 2022 auf 12,55 Euro angehoben.
Nicht-tarifgebunde Träger müssen nun nachziehen
Nicht tarifgebundene Pflege-Träger müssen sich bis Ende März entschieden, ob sie sich entweder einem der Tarifverträge anschließen oder aber den regionalen Lohndurchschnitt bezahlen. Tun sie das nicht, können die Kassen ihre bestehenden Versorgungsverträge mit diesen Trägern kündigen und müssten keine neuen verhandeln. Mit diesem Kniff im „Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung“ wollte die Vorgänger-Bundesregierung die Löhne in der Pflege erhöhen, um den Beruf attraktiver zu machen.
Auswirkungen auf Pflegebedürftige sind offen. Rein rechtlich dürfen die Kassen ambulante und stationäre Pflege nur durch Dienste und Einrichtungen gewähren, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht. In diesem Vertrag sind Art, Inhalt und Umfang der Pflegeleistungen geregelt.
Lesen Sie auch:Zuzahlungen: Wieso das Leben im Heim so teuer ist
Das hieße im besten Fall auch, dass die Kassen bis zum 1. September mit über 4600 Anbietern neue Versorgungsverträge verhandeln muss. Der Zeitplan wird von Fachleuten als ambitioniert beschrieben. Sigrid Averesch-Tietz, Sprecherin des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek) sprach von einem Riesenaufwand, der auf die Kassen zukomme.
Klage gegen „faktischen Tarifzwang“ - Pflege wird teurer
Für Ungewissheit sorgt, dass einige Pflegeunternehmen gegen die Neuregelung Beschwerde am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt haben. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) und der Verband deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) haben dies im September des vergangenen Jahres bekannt gegeben. Sie kritisierten, es würde ein „faktischer Tarifzwang für Unternehmen der Altenpflege geschaffen“.
Pflegekassen rechnen derweil damit, dass infolge der Gesetzesänderung Pflege teurer werde. Seit Jahren wird beklagt, dass besonders die Eigenanteile in Pflegeheimen in NRW überdurchschnittlich hoch sind. Zwar erhalten Heimbewohnerinnen und Heimbewohner seit Jahresanfang Zuschüsse von den Pflegekassen - auch das eine Folge der Pflegereform. Nach Einschätzung der Vdek-Sprecherin Averesch-Tietz würden diese Zuschüsse die nun anstehende Lohnerhöhungen nicht oder nicht ausreichend decken.
Lesen Sie auch:Pflegereform: Wer profitiert von der neuen Regelung