Düsseldorf. „Orientierungsdebatte“ im Bundestag. Klare Signale vom NRW-Ministerpräsidenten und von den Kassenärzten aus Nordrhein.
Während die Impfbereitschaft in NRW rückläufig ist, diskutierte der Bundestag am Mittwoch erstmals in einer „Orientierungsdebatte“ über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht in Deutschland.
Prominente Gegner wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) oder Gregor Gysi (Linke) halten eine Impfpflicht für unverhältnismäßig und gefährlich für das Vertrauen in die Demokratie. Befürworter sehen hingegen in ihr den einzigen Weg, um die Pandemie zu überwinden. Drei Modelle zeichnen sich ab: eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, eine Impfpflicht ab 50 Jahren und der Verzicht auf eine Impfpflicht.
Hendrik Wüst (CDU): "Es geht nur über das Impfen"
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bekräftigte am Mittwoch im Landtag seine Forderung nach einer Impfpflicht. „Wir kommen nur heraus aus den ständigen Wiederholungen von Lockerungen und Lockdown, wenn Menschen geimpft sind.“ Es sei „unverantwortlich“, wenn ein Staat einfach auf die Durchseuchung setzen würde. Der sichere Weg zur Immunität führe nur über das Impfen. „Zu einer vorausschauenden Pandemiepolitik gehört für mich mit Blick auf Herbst und Winter deshalb auch die Vorbereitung einer allgemeinen Impfpflicht“, so Wüst
In NRW ist die Impfquote im Bundesvergleich zwar hoch, reicht aber nach Einschätzung von Medizinern nicht aus, um das Risiko schwerer gesundheitlicher Schäden durch Corona ausreichend zu senken. Im bevölkerungsreichsten Bundesland haben knapp 80 Prozent der Bürger mindestens eine Erstimpfung erhalten, 76,5 Prozent sind zweimal geimpft, 53 Prozent geboostert.
Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Dr. Frank Bergmann, hält aus medizinischer Sicht eine Impfpflicht für sinnvoll. „In acht Monaten beginnt der nächste Herbst. Wenn dann die Schulen offenbleiben und Zugangsbeschränkungen vermieden werden sollen, brauchen wir eine Immunisierung der Bevölkerung. Die wird sich nur mit sehr hohen Impfzahlen herstellen lassen, und wahrscheinlich wird viel für eine allgemeine Impfpflicht sprechen“, sagte er.
Das Angebot stimmt, die Nachfrage nicht
Eigentlich sei die Lage beim Impfen in NRW „fast schon komfortabel“, wenn man sie mit der Situation vor einem Jahr vergleiche, meint KVNO-Chef Frank Bergmann. „Denn es sind bei Weitem ausreichend Impfangebote und Impfstoffe vorhanden.“ Das Problem sei derzeit aber die derzeit wieder sinkende Impfbereitschaft.
Bei den Erstimpfungen verzeichne NRW noch eine „Impflücke“ von 20 Prozent. Nötig seien daher „nicht mehr Impfangebote, sondern mehr Geimpfte“, warnte Bergmann. In NRW haben knapp 80 Prozent der Bürger mindestens eine Erstimpfung erhalten, 76,5 Prozent sind zweimal geimpft, 53 Prozent geboostert. Das reicht für vordere Plätze im Impfmonitoring des Robert-Koch-Instituts (RKI), ist aber nach Einschätzung der KVNO kein Ausweg aus der Pandemie.
KVNO: Vieles spreche für eine allgemeine Impfpflicht
Vieles spreche daher für eine allgemeine Impfpflicht, um im kommenden Herbst und Winter nicht erneut in einer Spirale aus Einschränkungen und Lockerungen zu landen und das Gesundheitssystem nicht wieder dem Risiko der Überlastung auszusetzen.
In der dritten Kalenderwoche wurden in Arztpraxen und kommunalen Impfstellen etwa 370.000 Impfungen im Bezirk Nordrhein durchgeführt, eine Woche davor waren es mehr als 500.000. Die KVNO rechnet mit je rund 300.000 Immunisierungen in den kommenden Wochen – zu wenig, um die Impflücke zu schließen.
Überlastete Labore führen zu weniger Überblick über das Pandemiegeschehen
Eine „besondere Dynamik“ beobachten die Kassenärzte im Moment bei den Booster-Impfungen der Zwölf- bis 17-Jährigen sowie bei den 18- bis 59-Jährigen. Mittlerweile hätten in NRW 76,2 Prozent der Über 60-Jährigen und 55,5 Prozent der 18- bis 59-Jährigen eine Auffrischungsimpfung erhalten.
Angesichts des Mangelzustands bei den PCR-Tests kann die KVNO nachvollziehen, dass diese Tests nun priorisiert werden und nur noch bestimmten Bürgern zur Verfügung stehen sollen. Der Bund müsse aber schnell klären, wer genau Vorrang vor anderen bekommen müsse. Die Probleme der vielerorts überlasteten Labore mit den Tests könnten auch dazu führen, dass der Überblick über das Pandemiegeschehen eingeschränkt werde: „Wir werden mit einer zunehmenden Dunkelziffer an Infizierten leben müssen“, sagt Frank Bergmann voraus.
Hoffnung auf zeitnahe Verfügbarkeit des neuen Impfstoffs Novavax
Die KVNO rechnet damit, dass die ersten Dosen des neuen, proteinbasierten Impfstoffes Novavax (Nuvaxovid) ab Ende Februar in NRW zur Verfügung stehen könnten. Dieser Impfstoff sei für Personen ab 18 Jahren geeignet, die Zweitimpfung erfolge in der Regel drei Wochen nach der ersten. Über die Dauer der Wirksamkeit von Novavax könne derzeit noch nichts gesagt werden. Der Impfstoff biete einen Schutz von etwa 90 Prozent.