Düsseldorf. Verbote werden immer wieder umgangen. Die Behörden sind oft machtlos gegen professionelle russische Desinformation.
Der Kampf gegen Falschnachrichten gleicht dem gegen das Ungeheuer „Hydra“: Verliert es einen Kopf, wachsen gleich neue nach. Putins Propagandisten umgehen Verbote trickreich. Der NRW-Verfassungsschutz ist alarmiert, und die Landesanstalt für Medien ruft nach besseren Gesetzen gegen Desinformation.
Wo alles ins Gegenteil verkehrt wird
Das deutschsprachige Angebot des russischen Senders Russia Today (RT) ist längst verboten, online aber weiter aktiv. Zwar werden seine Internet-Adressen immer wieder gelöscht, gleich darauf aber durch neue ersetzt. Es gibt „Anleitungen“, zum Beispiel auf dem Portal „Nachdenkseiten“, wie Nutzer dennoch RT-Seiten aufrufen können. Wer die Adressen anklickt, findet sich in einer Art Gegenwelt wieder. Dort gibt es keine Verbrechen russischer Angreifer in der Ukraine. Es gibt nicht einmal einen Krieg. Das Massaker von Butscha ist hier bloß eine „ukrainische False-Flag-Operation“.
Per Facebook, Instagram, Telegram, Youtube und über zig andere Kanäle streuen Putins Propagandisten Falschnachrichten. „Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz sehen auch wir in NRW, dass Fake-Videos und -Fotos zunehmen. Ziel ist es, die Stimmung zugunsten Russlands zu drehen“, sagte NRW-Innenminister Herber Reul (CDU) bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes.
Fake-Video nicht wieder einzufangen
Mitte März wurde ein Fake-Video über einen Mord an einem 16-Jährigen in Euskirchen verbreitet, das – obwohl die Tat frei erfunden war – noch immer kursiert. „Die russische Propaganda versucht, Menschen in Deutschland und konkret in NRW manipulativ zu beeinflussen“, sagt Alexander Vogt, medienpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. „Inhalte gehen viral, wenn Menschen sie für bare Münze nehmen und weiterverbreiten.“
Der Russlanddeutsche Viktor Weber (Name von der Reaktion geändert) lebt in Westfalen und organisiert humanitäre Hilfe für die Ukraine. Er verzweifelt an Putins Propaganda. Denn er beobachtet, dass ein Teil der in NRW fast eine Million Menschen zählenden Community mit Bezug zu Nachfolgestaaten der UdSSR der Desinformation aufsitzt. Eine der Folgen: Pro-Putin-Demos Ende März in Köln und Bonn.
Vermeintlich harmoses Netzwerk "Odnoklassniki"
Das Fake-Video aus Euskirchen lasse sich nicht mehr einfangen, sagt Weber. Große Sorgen macht ihm auch das russische soziale Netzwerk „Odnoklassniki“, das auf den ersten Blick wie das frühere „Studi VZ“ daher kommt - als Plattform für Leute, die Kontakte pflegen möchten. „Odnoklassniki ist eine reine Propagandamaschine“, warnt er. Und nennt ein weiteres Beispiel: Die Firma Kartina TV aus Wiesbaden verbreitet russische TV-Sender. Die Hessische Medienbehörde prüft noch, was sie dagegen tun kann. „Harmlose Filme werden häufig unterbrochen, um russische Nachrichten einzublenden“, erklärt Weber. Unpolitisches Fernsehen aus Russland gebe es schlicht nicht.
Noch ein Beispiel: Per Telegram, Instagram und auf anderen Medien verbreitet die Aktivistin Alina Lipp „Neues aus Russland“ und Beiträge wie „Glücklich auf der Krim“. Sie zeigt sich auch mal mit Soldatenhelm oder Militär-Damenschuhen. Laut dem Blog „Volksverpetzer“ betreibt Lipp den „größten deutschen Pro-Putin-Propaganda-Kanal“.
Alexander Vogt (SPD): Es fehlen Personal, Technik und Geld
Zur Bekämpfung von Desinformation und Propaganda im Netz fehle es den NRW-Behörden an Personal, technischen Kapazitäten und Geld, mahnt Alexander Vogt. Urheber könnten zwar theoretisch zur Rechenschaft gezogen werden, „das Problem liegt in der Praxis darin, dass die Strafverfolgungsbehörden unterbesetzt sind, weil die Thematik bislang unterschätzt wurde“, so Vogt. Durch immer bessere technische Mittel werde es zudem schwerer, „Fake-Videos“ überhaupt zu erkennen, teilt der NRW-Verfassungsschutz auf Anfrage mit.
Laut dem NRW-Geheimdienst zielt Desinformation durch fremde Mächte zunächst auf die Gesamtbevölkerung. „So sollen Stimmungen erzeugt werden, die im Interesse der fremden Macht stehen.“ Ausländische Desinformation richte sich darüber hinaus oft konkret an Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft sowie an die Auslandsdiaspora der fremden Macht. Ziel: Manipulation und Mobilisierung.
Landesanstalt für Medien erinnert an Gesetzeslücken
Tobias Schmid, Chef der Landesanstalt für Medien in NRW, erklärt, dass das Verbot von Medieninhalten in einer Demokratie „nur durch staatsunabhängige Einrichtungen im rechtsstaatlichen Verfahren erfolgen“ könne. Dies geschehe auch, wie die Verfahren deutscher Medienanstalten gegen Russia Today Deutschland (RT DE) oder der britischen Medienaufsicht gegen RT UK zeigten. „Eine andere Frage ist, ob die gesetzlichen Regelungen hierfür ausreichen. Da ist die Antwort ganz klar: Nein“, so Schmid.
Das in Deutschland geltende Gebot der Staatsferne von Medien müsse in der ganzen EU gelten, um Umgehungen zu unterbinden, sagt Schmid weiter. „Und wir brauchen Gesetze, mit denen wir diese Verbote auch gegenüber Satellitenbetreibern und Telekommunikationsdienstleistern zügig durchsetzen können.“ Hier sei der europäische Gesetzgeber gefordert.