Düsseldorf. Hat NRW Warnhinweise auf eine extreme Flut unterschätzt? Der Innenminister meint, diese Katastrophe sei nicht vorhersehbar gewesen.
Würde sich die Aufmerksamkeit in diesen Tagen nicht so sehr auf den Krieg in der Ukraine richten, dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Aufarbeitung der Flut im Juli 2021 wäre wohl großes öffentliches Interesse sicher. Am Freitag musste sich NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kritischen Fragen mach seiner Rolle während der größten Naturkatastrophe in der Geschichte des Landes mit 49 Todesopfern stellen. Und er räumte Versäumnisse ein.
"Das verfolgt mich jeden Tag"
Er habe Fehler gemacht, trage politische Verantwortung, habe aber juristisch gesehen keine Schuld auf sich geladen. Das war, zusammengefasst, die Botschaft Reuls an den Ausschuss. Das volle Ausmaß der Katastrophe sei noch am 13. Juli nicht einmal für Experten klar vorhersehbar gewesen. Außerdem habe das Land „keine operative Rolle“ im Katastrophenschutz, sondern allein die Kommunen. Dennoch: „Die Katastrophe war ein einschneidendes Erlebnis. Das verfolgt mich jeden Tag“, beteuerte Reul.
Minister brach seinen Urlaub am 15. Juli ab
„Auch ein Minister macht sicherlich nicht immer alles richtig. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, ob ich nicht schon am Mittwoch, 14. Juli, aus dem Urlaub hätte nach Hause fahren sollen“, sagte er. An diesem Tag habe er von seiner Behörde erfahren, dass die Lage in NRW sehr ernst war. Die ersten Todesopfer waren an diesem Mittwoch zu beklagen. Reul hatte seinen Urlaub in Schleswig-Holstein am Donnerstag, 15. Juli, abgebrochen. Die Rückfahrt mit dem privaten Auto von Lübeck nach Leichlingen dauerte allerdings staubedingt bis in den späten Abend.
Sich von einem Polizei-Hubschrauber abholen zu lassen, habe er abgelehnt, weil diese für die Rettung von Menschen gebraucht worden seien. „Politisch verantwortlich“ fühlt sich Reul für Fehler im System des Katastrophenschutzes. Seine Aufgabe sei es nun, diese Schwächen zu beseitigen und dem Land eine größere Führungsverantwortung in künftigen Katastrophenfällen zu ermöglichen, um auch überörtlich handeln zu können.
Warum nur ein kleiner und kein "richtiger" Krisenstab?
SPD und Grüne werfen dem Innenminister vor, dass seine Behörde am Nachmittag des 14. Juli „nur“ einen Kleinen Krisenstab (Koordinierungsgruppe), in dem zunächst auch nur zwei Feuerwehrleute saßen, einberief und nicht schon am 12. oder 13. Juli unter dem Eindruck immer extremerer Wetter-Warnmeldungen einen richtigen Krisenstab mit den Vertretern der Ministerien. Am 13. Juli hat es auf Landes- und Kommunalebene in NRW die ersten Warnhinweise auf ein möglicherweise großes Unwetter gegeben, erklärte Reul.
Hat die Regierung die Gefahr etwa unterschätzt? Hatte sie etwa noch ein anderes Problem mit dem Krisenstab? Eine Mitarbeiterin der Staatskanzlei hatte in einer internen Mail durchblicken lassen, dass die Regierung in Erklärungsnöte kommen könnte, wenn sie einen Krisenstab zusammengestellt hätte. Denn dann hätte man der Öffentlichkeit erkläre müssen, warum es in der Corona-Pandemie nie einen Krisenstab des Landes gab.
Herbert Reul verteidigte die kleine Lösung: „Da saßen Profis am Tisch. ich habe mich entschieden, auf die Praktiker zu hören. Wir hatten keine Zeit für Grundsatzdebatten.“ Die Opposition wirft Reul aber vor, dass nicht einmal der Kleine Krisenstab zu Beginn personell angemessen ausgestattet gewesen sein soll.
Die Umweltministerin arbeitete im Homeoffice auf Mallorca
In größere Bedrängnis als Reul geriet in der vorherigen Sitzung des U-Ausschusses NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Die Ministerin hatte bei ihrer ersten Zeugenvernehmung einräumen müssen, dass sie während des verheerenden Hochwassers nur kurz in Düsseldorf war und danach wieder für mehrere Tage zurück nach Mallorca geflogen ist. Heinen-Esser begründete dies mit Betreuungspflichten für ihre damals 15-jährige Tochter, die mit Freunden auf der Baleareninsel geblieben war. Zudem habe sie ihre Amtsgeschäfte aus der Zweitwohnung auf Mallorca im Homeoffice wahrgenommen.
Aus der Sicht des Grünen-Obmanns im PUA und früheren Landesumweltministers Johannes Remmel, hatte dem Umweltministerium ein „angekündigtes Staatsversagen“ vorgeworfen, Frühe Hochwasser-Warnungen seien von der Behörde falsch eingeschätzt worden.
Bereits zum Start des U-Ausschusses im Herbst erklärten die britische Hochwasser-Forscherin Hannah Cloke und der Wetterexperte Jörg Kachelmann, die Katastrophe habe sich schon ab dem 12. Juli in ersten Warn-Szenarien abgezeichnet. Am 13. Juli hatte der Deutsche Wetterdienst vor einem möglichen extremen Unwetter der höchsten Stufe vier gewarnt.
Der Innenminister beschrieb am Freitag eine Reihe von Fehleinschätzungen auf vielen Ebenen. „Ich habe Fehler gemacht, die Bürgermeister vor Ort haben Fehler gemacht, die Informationskette hat nicht funktioniert.“ Allein die Alarmierung von Menschen rette noch nicht verlässlich Leben. Im Grunde müssten die Bürger beim Alarm erfahren, wie genau sie sich retten könnten.