Düsseldorf. NRW-Innenminister Reul darf als Alterspräsident den neuen Landtag eröffnen. Ein Gespräch über Lehren aus Jahrzehnten in der Politik.
Wenn sich an diesem Mittwoch in Düsseldorf der Landtag konstituiert, fällt Innenminister Herbert Reul eine besondere Rolle zu. Der CDU-Politiker, der Ende August 70 wird, eröffnet als Alterspräsident die Legislaturperiode. Tobias Blasius sprach mit Reul über Lehren aus einem langen Politikerleben und Karrieristen mit Aktenkoffer.
Hätten Sie sich 1985 nach Ihrem erstmaligen Einzug in den Landtag vorstellen können, einmal mit fast 70 die Legislaturperiode als Alterspräsident zu eröffnen?
Nein, denn mein Plan war nie, Berufspolitiker zu werden. Ich war damals junger Vertrauenslehrer für die Schülervertretung am Gymnasium in Wermelskirchen und habe meinen Kollegen und Schülern gesagt: Ich mache jetzt mal ein paar Jahre Politik und komme danach zurück in meinen Beruf, den ich ja immer sehr gerne gemacht habe.
Bedeutet Ihnen der Posten des Alterspräsidenten etwas?
Wenn ich da oben auf dem Präsidentenstuhl sitze, werde ich sicher schon daran denken, was für eine irre Reise in der Politik das bislang war und wie viel Glück ich hatte. Vielleicht denke ich auch mal an Norbert Blüm und Peter Hintze, von denen ich wahnsinnig viel gelernt habe. Zum Beispiel, dass man sich engagieren muss, sich selbst treu bleiben und lernwillig sein sollte, weil sich dann Türen öffnen. Diejenigen hingegen, die schon sehr früh mit dem Aktenkoffer unterwegs sind und nur ihre eigene Karriere planen, bringen es oft nicht so weit.
Was sieht der Alterspräsident Reul politisch anders als der Jungabgeordnete Reul?
Mein Themenfokus hat sich ziemlich verändert. In den 80ern ging es mir um Bildung, Fortschritt, Technologie und Wohlstand. Viele Fragen, die mich heute irre umtreiben, wie der Kampf gegen Kindesmissbrauch oder auch der Klimaschutz als zentrale Herausforderung für künftige Generationen, hatte ich damals so nicht auf dem Schirm.
Sie waren ein ziemlich frecher Jung-Parlamentarier und haben gleich in einer Ihrer ersten Landtagsreden den damals unantastbaren SPD-Ministerpräsidenten Rau für den Preis „Doppelzunge in Gold“ vorgeschlagen. Wie hat sich die politische Debattenkultur verändert?
Die Debatten der 80er und 90er Jahre im Landtag waren hart und direkt, aber wir waren nie Feinde, sondern konnten hinterher immer noch an einem Tisch sitzen. Mit Blick auf die jüngere Vergangenheit frage ich mich, ob man sich nicht manche Zuspitzung und Polemik hätte sparen können. Nicht jedes Problem ist ein Skandal. Wenn sich Vertreter der demokratischen Parteien beschimpfen, ist das bloß Wasser auf die Mühlen derer, die den Staat und seine Institutionen verachten.
Besonders emotionale Debatten werden heute in den sozialen Netzwerken geführt…
Da ich als Innenminister oft genug Gegenstand solcher Shitstorms bin, kann ich nur sagen: Sachliche und strittige Debatten müssen in der Demokratie sein, aber pure Boshaftigkeiten im Netz lösen kein einziges Problem.
Warum tun Sie sich diese 80-Stunden-Wochen überhaupt noch an und spielen nicht lieber mit den Enkelkindern im Garten?
In einem langen Politikerleben gibt es immer mal Phasen, da sagt man innerlich: Jetzt reicht’s. Das Amt des Innenministers ist aber sehr erfüllend, weil ich sehe, dass man wirklich etwas bewegen kann. Nordrhein-Westfalen ist sicherer geworden und ich konnte helfen, dass die Polizei mehr Personal, bessere Ausstattung und die notwendigen Befugnisse bekommt. Die Menschen erkennen das auch an und das motiviert unheimlich.
Sie waren 19 Jahre Landtagsabgeordneter, dann 13 Jahre Europaabgeordneter, seit 2017 nun Innenminister. Warum wollten Sie noch einmal einen Wahlkreis gewinnen?
Als die Grundsatzentscheidung gefallen war, weiterzumachen, habe ich gesagt: Du engagierst dich jetzt mit allem, was dazu gehört und wartest nicht auf den Posten, sondern gehst noch einmal in den Straßenwahlkampf. Auf mein Wahlkreisergebnis von über 50 Prozent und vor allem den Zuspruch vieler Jungwähler bin ich stolz wie Bolle.
Ihr Vater war Bürgermeister in Leichlingen, Ihre Schwester ist Dezernentin in Remscheid. Liegt das Politische in Ihrer DNA?
Auch wenn es vielleicht so aussieht, wurde ich keineswegs in die Politik hineingeboren. Obwohl mein Vater immer für die CDU unterwegs war, bin ich selbst erst relativ spät in die Junge Union eingetreten. Als Schüler habe ich mich mit Freunden für Spielplätze und ein Jugendzentrum bei uns im Ort eingesetzt und gemerkt: Hoppla, Du bist ja auf diejenigen im Stadtrat angewiesen, die den Rahmen dafür setzen. Im Grunde ist es dabei bis heute geblieben: Wer etwas verändern will, muss in Parlamenten um Mehrheiten werben.
Sie gelten als „harter Hund“, haben aber schon in den 90ern als CDU-Generalsekretär auf kommunaler Ebene für eine Öffnung hin zu den Grünen geworben. Sind Sie insgeheim ein Schwarz-Grüner?
Ich war schon offen für Schwarz-Grün, da war mancher Befürworter noch gar nicht geboren. Deswegen finde ich es amüsant, wenn ich als schwarzer Sheriff beschrieben werde. Ein konsequenter Kurs in der inneren Sicherheit, ein klimaneutrales Industrieland und ein liberales Gesellschaftsbild passen für mich gut zusammen.
Sie sind ein eher unkonventioneller Redner. Haben Sie den Alterspräsidenten-Sound schon drauf?
Ich bin zu alt, um mich noch zu verstellen.