Essen. Ansturm auf die Wohnheime: Viele Studierende haben wegen Corona online studiert. Jetzt gehen sie zugleich mit den Erstsemestern auf Zimmersuche.
In vielen Hochschulstädten in NRW suchen Studierende derzeit verzweifelt eine Bleibe. Der preiswerte Wohnraum ist in diesem Jahr besonders knapp. Seit die Hochschulen nach drei Online-Semestern wegen der Corona-Pandemie angekündigt haben, ab Mitte Oktober wieder vorwiegend in den Präsenzbetrieb zu starten, steigt die Nachfrage nach Studentenzimmern rapide an.
Grund ist, dass die Erstsemester nun zugleich mit älteren Semestern, die bislang am Laptop in ihrem Heimatort die Veranstaltungen verfolgt haben, auf Wohnungssuche an ihrem Studienort gehen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre werden knapp 100.000 Erstsemester im Oktober ihr Studium an einer Hochschule in NRW aufnehmen. Hinzu kommt, dass zum Studienstart auch Studierende aus dem Ausland zurückkehren.
Die Wartelisten füllen sich wieder
„Die Nachfrage nach Wohnheimplätzen ist in den Tagen nach Bekanntgabe des verstärkten Präsenzstudiums an fast allen Hochschulstandorten im Land sprunghaft gestiegen“, sagt Olaf Kroll, Referent der Studierendenwerke NRW. Sie sind mit insgesamt rund 40.000 Wohnheimplätzen der mit Abstand größte Anbieter von gefördertem Wohnraum für Studierende (87 Prozent). An den Hochschulen in NRW sind rund 770.000 Studierende eingeschrieben. „Die Wartelisten für einen Platz in einem Wohnheim werden wieder länger“, sagt Kroll.
In vielen großen Hochschulstädten wie Aachen, Bonn, Köln oder Münster übersteige die Nachfrage das Angebot deutlich. So betrage zum Beispiel in Münster die Wartezeit auf einen Wohnheimplatz rund sechs Monate. Das örtliche Studierendenwerk überlegt deshalb bereits, Notunterkünfte einzurichten. Das Studierendenparlament (Asta) der Uni rief mit der Aktion „Deine Couch für Erstis“ die Bewohner der Stadt auf, für einige Tage ein Bett oder ein Sofa für Erstsemester zur Verfügung zu stellen.
Forderungen an die Landesregierung
Zwar ist die Situation in den Ruhrgebietsstädten derzeit nicht so angespannt, dennoch „füllen sich auch hier wieder die Wartelisten“, so Kroll. Vor allem ausländische Studierende seien im Ruhrgebiet auf die Wohnheime angewiesen. Ein Grund sind die moderaten Mieten von im Schnitt 270 bis 290 Euro für ein Zimmer in einem NRW-Wohnheim. Während der Corona-Pandemie sei die Wohnraumsituation in NRW teils sehr entspannt gewesen, sagt Kroll. Doch das ändere sich gerade.
Die Studierendenwerke fordern die Landesregierung erneut dazu auf, den Bau neuer Wohnheime zu fördern. „Wir können nicht so viele Heime bauen, wie wir wollten. Da stehen andere Bundesländer besser da“, heißt es. Die Versorgungsquote sei mit rund sechs Prozent an öffentlich gefördertem studentischem Wohnraum im bundesweiten Vergleich „sehr unterdurchschnittlich“. Anstatt zu steigen, sei die Zahl der Wohnheimplätze in NRW zuletzt sogar gesunken. Während in den vergangenen zehn Jahren die Studierendenwerke etwa 40.000 Zimmer anboten, sank die Zahl der Plätze privater Träger nach Angaben der Landesregierung von knapp 13.000 im Jahr 2010 auf nur noch gut 6000 im Jahr 2020, also um mehr als die Hälfte.
Preiswerte Wohnungen in den Städten knapp
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Eine Ursache sei, dass viele Heime aus der Zweckbindungsfrist gefallen sind und die Inhaber die Studentenbuden dann in hochwertige Wohnungen umwandeln können. „Wir können das nicht ausgleichen, weil uns Grundstücke und Förderung fehlen“, so Kroll. Der Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring (Grüne) fordert vor diesem Hintergrund eine „Offensive für das studentische Wohnen“ sowie eine Reform des Bafög. Die Bafög-Wohnpauschale von 325 Euro sei angesichts der Preisentwicklung auf dem Wohnungsmarkt zu niedrig.
Wer keinen Platz in einem preiswerten Wohnheim findet, ist auf den freien Wohnungsmarkt angewiesen. Doch auch hier sind die gefragten kleinen und preiswerten Einheiten knapp, zeigt eine aktuelle Studie, die das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln im Auftrag der Finanzberatung MLP vorgestellt hat. Durch allgemein steigende Mieten, einen Mangel an Wohnungsangeboten und ein geringes Einkommen habe sich die Lage für Studierende auf dem Wohnungsmarkt in vielen Hochschulstädten verschärft.
Studierende erlitten Einkommenseinbußen
Im Durchschnitt stiegen die Mieten für eine Standard-Studentenwohnung in den bundesweit 30 beispielhaft betrachteten Hochschulstädte um 1,8 Prozent. Eine Ursache für diesen zuletzt eher moderaten Preisanstieg sehen die Experten in der schwachen Nachfrage während der Corona-Pandemie. Zugleich aber mussten viele Studierende Einkommenseinbußen hinnehmen, weil etwa die Arbeitszeit in der Gastronomie oder der Tourismusbranche reduziert wurden. Nach einer repräsentativen Umfrage Ende 2020 hatte sich für 37 Prozent der Studierenden die Einkommenssituation verschlechtert. Zehn Prozent der erwerbstätigen Studierenden hätten demnach ihren Job ganz verloren.
Regional ist der Wohnungsmarkt laut der IW-Studie sehr unterschiedlich. So stiegen die Mieten in Münster (4,1 %), Aachen (3 %), Bonn (2,6 %) oder Bochum (1,9 %) überdurchschnittlich an. Grund hierfür sei fehlender Zubau an Wohnraum. In anderen Städten wie Düsseldorf, Stuttgart oder Karlsruhe sind nach der IW-Studie die Preise sogar leicht gesunken. Dennoch bleiben die Mieten auf hohem Niveau, und die Preisunterschiede sind teils gewaltig.
Lage wird sich verschärfen
Wer in München eine Studentenbude mieten will, muss über 800 Euro hinblättern, für ein WG-Zimmer sind immerhin noch 554 Euro fällig. In Münster liegt der durchschnittliche Mietpreis für eine einfache Studentenwohnung bei 532 Euro (WG-Zimmer: 343 Euro). In Köln kostet eine Wohnung 663 Euro (WG: 398 Euro). In Bochum liegen die Mieten laut IW-Berechnung bei 386 Euro (WG: 242).
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In Zukunft dürften die Mietpreise aber wieder deutlich stärker anziehen, sind sich die Wohnungsmarktexperten sicher. Der Report spricht von einer „Verschnaufpause auf einem zuvor schon hohen Niveau“. Viele Studierende hätten ihren Studienbeginn hinausgezögert und wohnten vorerst bei den Eltern. Sobald sich das gesellschaftliche Leben normalisiere und die Mobilität steige, werde auch die Nachfrage nach Wohnungen in den Großstädten wachsen. „Für Studierende könnte sich die Lage also schnell deutlich verschärfen“, sagte Prof. Michael Voigtländer, Immobilienexperte am IW. Es sei längst überfällig, dass die Politik die prekäre Wohn- und Finanzsituation der künftigen Akademiker in den Blick nehme.
Unis bestehen auf Anwesenheit
Wie andere Hochschulen hatte auch die Uni Duisburg-Essen im Sommer alle Studierenden aufgerufen, zum Wintersemester an den Studienort zu ziehen. Doch angesichts der Ungewissheit, ob der Uni-Betrieb tatsächlich komplett in Präsenz stattfinden kann, dürfte sich mancher Studierende dreimal überlegen, ob er für mehrere Hundert Euro eine Wohnung am Studienort anmietet. Eine Alternative aber scheint kaum möglich. Die Unis haben angekündigt, nur die Massenvorlesungen im Internet zu übertragen. Für alle anderen Veranstaltungen gilt bis auf weiteres: Anwesenheit ist gefragt.