Dortmund/Essen. Trotz Impfung und sinkender Fallzahlen gelten in NRW-Pflegeheimen noch strenge Corona-Auflagen. Vor Ort rücken Öffnungsstrategien in den Blick

Man hört Elke Hammer-Kunze an, wie sie erleichtert ist: „Ja, es ist wirklich geschafft“, sagt die Vize-Chefin der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Westliches Westfalen. In der vergangenen Woche habe es auch in der letzten der 58 Awo-Alteneinrichtungen zwischen Bottrop und Lippstadt die zweite Corona-Impfung gegeben, um die Pflegebedürftigen vor der für sie besonders gefährlichen Virusinfektion zu schützen.

Aus den Häusern gebe es bereits Erfolgsmeldungen: „Die Infektionen gehen gegen null“, sagt Hammer-Kunze. Noch vor Weihnachten habe es rund 350 Fälle gegeben. „Die Impfung hilft und schützt. Das war ein Geschenk für uns alle nach dem sehr belastenden letzten Jahr.“

Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter der Heime werden ungeduldig

Über Monate waren die rund 2300 Einrichtungen der stationären Altenpflege in NRW von der Pandemie besonders stark betroffen. Hohe Infektionsfallzahlen, viele Todesfälle und sehr strenge Schutzauflagen haben Mitarbeiter, Bewohner und Angehörige vielfach an die Belastungsgrenze gebracht. Erst die prioritären Impfungen ab 27. Dezember scheinen nun landesweit eine Trendwende zu bereiten.

Das weckt Erwartungen: „Wir merken auf allen Ebenen, dass die Menschen ungeduldig werden“, sagt Elke Hammer-Kunze in Dortmund. Angehörige wie Bewohner und Mitarbeiter forderten, dass die weiterhin geltenden Landesauflagen gelockert würden. „Vielfach steht die Frage im Raum: Wir haben die Impfungen mitgemacht, warum passiert jetzt nicht?“

Testpflicht und Schutzausrüstung, ob geimpft oder nicht

Denn ob geimpft oder nicht: Besuch für Bewohner ist weiterhin reglementiert, der Rhythmus von Schnelltests in den Einrichtungen ist vorgegeben, es gilt im direkten Kontakt die FFP2-Maskenpflicht und Mitarbeiter tragen eine Schutzausrüstung, selbst wenn sie wie der Pflegebedürftige selbst gegen das Virus geimpft sind.

„Wir sind an einem Punkt, an dem wir wieder über das Miteinander in den Einrichtungen sprechen müssen“, ist Hammer-Kunze überzeugt. Das gelte besonders für lange Zeit nicht stattgefundene Gemeinschaftsangebote, die wieder mehr soziale Teilhabe ermöglichen sollen.

Kammerpräsident warnt vor zu schnelle Öffnungen

Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Hans-Albert Gehle, mahnt indes zu mehr Geduld. „Ja, wir haben viele Heimbewohner in NRW geimpft, aber es sind eben noch nicht alle“, erinnert Gehle. Laut Robert-Koch-Institut haben 147.573 Heimbewohner in NRW ihre Zweitimpfung erhalten, in den Einrichtungen leben aber etwa 170.000 Menschen.

Bislang sei zudem nicht abschließend, ob Geimpfte weiterhin infektiös sein können. „Solange es noch Ungeimpfte in den Heimen gibt, müssen diese Menschen auch geschützt werden. Dort sollten keine Öffnungen oder Lockerungen stattfinden.“ Gehle plädiert für Einzelfallentscheidungen, so dass komplett durchgeimpfte Altenheime beispielsweise Gemeinschaftsangebote ausrichten und dies mit Testungen flankieren könnten.

Bis zu 90 Prozent der Heimbewohner bei der Awo in Westfalen sind geimpft

Auch bei der Awo sind längst nicht alle Bewohner und Mitarbeiter geimpft worden. Bis zu 70 Prozent der Mitarbeiter seien geimpft. Und unter den rund 6200 Pflegebedürftigen in den Häusern des Bezirks Westliches Westfalen liegt die Impfquote je nach Standort bei 70 bis 90 Prozent.

Lücken in der Bewohnerschaft sind laut Awo entstanden, etwa weil ein Bewohner zum eigentlichen Termin erkrankt war oder erst später neu aufgenommen worden ist. Es gebe von Ort zu Ort verschiedene Lösungen, die Lücken zu schließen. So könnten etwa Impflinge „gesammelt“ bis zu einer Mindestanzahl gesammelt werden, um einen Impfarzt in die Einrichtung zu holen.

„Wir haben im Moment ein Nebeneinander von Geimpften, noch nicht Geimpften und Ungeimpften“, gibt Hammer-Kunze zu. Dennoch müsse die Frage diskutiert werden, wie es vor Ort weitergehe und soziale Teilhabe wieder stärker ermöglicht werde.

Die Awo-Fachfrau sieht da auch Spielräume für die Einrichtungen. Schon jetzt finde vor Ort wieder im Rahmen der Möglichkeiten mehr Gemeinschaftliches statt. „Wir wollen uns vorsichtig wieder öffnen, Sing- und Bewegungsangebote für alle Bewohner schaffen, um sie wieder mehr zu aktivieren und nach der gespürten Isolation wieder zu erreichen.“ Ungeimpfte könnten getestet werden. Hammer-Kunze sagte, dass die Einrichtungen jetzt gefordert seien, ihre bisherigen Konzepte zu prüfen und neu zu denken.

Landesbehindertenbeauftragte: Stimmung droht zu kippen

Unterstützung im Ruf nach Lockerungen erhalten Heimbetreiber von der Landesbehindertenbeauftragte. Sie erreichten verzweifelte Anrufe und Schreiben von Angehörigen, sagte Claudia Middendorf am Mittwoch. „Die Stimmung droht zu kippen.“

Innerhalb der kleinen Einrichtungsgruppen müssten vorsichtige Möglichkeiten zur Teilhabe in Aussicht gestellt werden. Isolationsmaßnahmen und Kontaktbeschränkungen führten zu nachvollziehbarem Unmut. „Es geht hier um das Wohlbefinden einer hochbetagten und eingeschränkten Gruppe, die womöglich ihren letzten Frühling oder Sommer erlebt.“