Essen. Der Streik an den sechs Unikliniken in NRW ist beendet: Die Beschäftigten sollen freie Tage oder einen finanziellen Ausgleich erhalten.
Der längste Arbeitskampf im deutschen Gesundheitswesen ist nach elf Wochen beendet. Die sechs NRW-Unikliniken und die Gewerkschaft Verdi haben sich am Dienstag nach harten Verhandlungen auf Eckpunkte für einen neuen „Tarifvertrag Entlastung“ verständigt, der zum 1. Januar 2023 in Kraft treten und über fünf Jahre laufen soll.
Damit endet der Streik an diesem Mittwoch nach 79 Tagen und der medizinische Normalbetrieb kann wieder anlaufen. Leidtragende waren vor allem zum Teil schwer erkrankte Patienten. In den Unikliniken Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster mussten seit Mai mehr als 10.000 Operationen verschoben werden. Es wird nach Klinikangaben Monate dauern, bis geplante Behandlungen nachgeholt worden sind.
Klinik-Streik beendet: Entlastungstage für Beschäftigte
„Es ist vollbracht: Der erste Flächentarifvertrag für Entlastung an Krankenhäusern in Deutschland ist durchgesetzt“, sagte Katharina Wesenick, Verdi-Landesfachbereichsleiterin für Gesundheit, Soziales, Bildung und Wissenschaft.
„Mit den vereinbarten Eckpunkten werden die Unikliniken in Nordrhein-Westfalen Vorreiter bei den Arbeitsbedingungen in der Patientenversorgung sein“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Universitätsklinikums Köln und Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite, Prof. Dr. Edgar Schömig. Wer in einer Uniklinik arbeite, könne sich zukünftig sicher sein, dass es zumindest national keine besseren Rahmenbedingungen in anderen Krankenhäusern gebe.
Konkret vereinbart wurden zum Beispiel bessere Personalschlüssel insbesondere in patientennahen Berufsgruppen. Eine schichtgenaue Belastungsmessung und ein Belastungsausgleich durch freie Tage oder finanziellen Ausgleich sollen helfen, die chronische Überforderung der Beschäftigten in der Spitzenmedizin zu lindern. Wenn die neuen Personalschlüssel unterschritten werden, gibt es Entlastungstage für die Beschäftigten.
„Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-Seite haben sich Entlastung gewünscht. Unsere gemeinsame Lösung rückt genau das in den Fokus und wird nachhaltig für bessere Arbeitsbedingungen und damit für eine bessere medizinische Versorgung sorgen“, lobte Prof. Dr. Jochen A. Werner, Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen.
Unikliniken müssen deutlich mehr Personal einstellen
Verhakt hatten sich die Tarifgespräche lange an der Frage, ob die Entlastung nur für das Pflegepersonal gelten soll oder auch für andere Berufsgruppen. Letztlich habe man in dieser Frage „gute Kompromisse“ finden können, sagte Prof. Dr. Dr. Frank Schneider, Vorstandschef des Uniklinikums Düsseldorf.
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Um die Eckpunkte in einen Tarifvertrag zu übersetzen, müssen die Unikliniken nun deutlich mehr Personal einstellen, das am Arbeitsmarkt nur schwer zu bekommen sein wird. Auf das Land kommen erhebliche Zusatzkosten zu. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte frühzeitig zugesagt, dass das Land für eine Refinanzierung aller Kosten einstehen werde, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
Minister Laumann: Sehr froh über Lösung im Tarifkonflikt
Laumann sagte, die letzten Wochen hätten den Beteiligten viel abverlangt – den Beschäftigten, den Patientinnen und Patienten und den Klinikleitungen. „Ich bin daher sehr froh, dass die Sozialpartner eine Lösung im Tarifkonflikt gefunden haben. Es liegt nun ein gutes Ergebnis auf dem Tisch, das zu besseren Arbeitsbedingungen führt und nachhaltig entlastet.“
Laut Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) bringt die Einigung eine „spürbare Entlastung für alle patientennahen Berufe an den sechs Universitätskliniken“. Es freue sie, dass die Landesregierung mit der Änderung des Hochschulgesetzes die Weichen für die Vereinbarung habe stellen können.
Arbeitskampf in NRW begann Anfang des Jahres
In einigen Teilen Deutschlands gibt es schon längst einen sogenannten Tarifvertrag Entlastung (TV-E), der genaue Personalbemessungen für einzelne Krankenhausbereiche regelt. In NRW begann der Arbeitskampf mit einem 100-Tage-Ultimatum Anfang dieses Jahres an die Arbeitgeber. Diese Frist ließen die Uniklinik-Chefs verstreichen, worauf sich der Ton verschärfte. Für die Beschäftigten in der Pflege und den übrigen Bereichen des Klinikbetriebs war die Situation nach eigenem Bekunden unerträglich geworden, weil die Betreuung und Versorgung der Patientinnen und Patienten aufgrund des Personalmangels immer mehr litt.
Lange weigerten sich die NRW-Unikliniken, an den Verhandlungstisch zu kommen und Angebote vorzulegen. Zudem gab es rechtliche Hürden für direkte Verhandlungen der Streit-Parteien. Weil die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) Verhandlungen ablehnte, musste der NRW-Landtag den Weg freiräumen mit der Änderung des Hochschulgesetzes. Ende Juni gelang dies mit den Stimmen der neuen schwarz-grünen Koalition sowie der Fraktionen von SPD und AfD. Nun konnten die Unikliniken aus dem Arbeitgeberverband der Länder (AdL), die Mitglied der TdL sind, austreten und eigenständig Tarifverhandlungen führen. (mit dpa)