Essen. Marlene Mortler (CSU) orientiert sich am Vorbild Großbritannien: Dort müssen in Kfz die Kippen ausbleiben, wenn Minderjährige mitfahren.
Die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) fordert ein Rauchverbot in Autos, wenn Minderjährige mitfahren. Das Beispiel Großbritannien, wo diese Regelung ab 1. Oktober greift, sei ein Vorbild, sagte Mortler der WAZ. Mortler: „Ich würde die Prüfung eines solchen Verbots innerhalb des Kinder- und Jugendschutzes sehr begrüßen.“ Eine Legalisierung von Cannabis, wie es zuletzt auch Politiker in Düsseldorf forderten, lehnt die Politikerin strikt ab. Cannabis sei eine Droge, die schwere gesundheitliche Probleme verursachen könne. Schwerkranke Menschen soll Cannabis aber als Medikament bekommen dürfen. Neben den „klassischen Drogen“ bereite ihr die Onlinesucht zunehmend Sorge. „Diese Menschen verlieren den Bezug zur realen Welt.“
Zehn bis zwölf Stunden am Tag sitzen sie vor dem Rechner, vergessen die Umwelt, vernachlässigen Körperpflege, Ernährung und Gesundheit und sind nicht mehr in der Lage, Leistung in Schule oder Beruf zu bringen: Bis zu einer Million Menschen gelten in Deutschland nach Expertenmeinung als mediensüchtig, Tendenz steigend. Während unter Jugendlichen der Alkohol- und Tabak-Konsum rückläufig ist, steigt die Zahl der „Digital Junkies“. Die Bundesdrogenbeauftragte
Marlene Mortler (CSU)
äußerte sich im Gespräch mit
Christopher Onkelbach
und
Verena Barton-Andrews
besorgt über diesen Trend.
Frau Mortler, wie konkret ist die Gefahr der Onlinesucht?
Marlene Mortler:
Wir erleben, dass die Zahl der Betroffenen stark steigt. Ich habe mich kürzlich in Bochum mit Experten der Universitätsklinik getroffen, um das Thema zu erörtern. Wir müssen es als relativ neue Suchtform ernst nehmen. Die Abhängigkeit betrifft Online-Spiele, Cyber-Sex, Soziale Medien bis hin zu Online-Shopping. Kinder, Jugendliche und Erwachsene sind betroffen. Die reale Welt wird solchen Menschen fremd. Wir stehen bei der Erforschung des Phänomens erst am Anfang, da ist noch viel Arbeit zu tun. Ich möchte hier ein Zeichen setzen und auf die gefährlichen Auswirkungen hinweisen.
Wie beugt man dieser Sucht vor?
Mortler:
Man muss damit bereits sehr früh beginnen, am besten in der Schule. Das „Klasse 2000“-Programm zur Gesundheitsförderung, Sucht- und Gewaltvorbeugung in Grundschulen ist ein guter Ansatz. Die Carl-Funke-Grundschule in Essen, die wir besucht haben, ist da vorbildlich. Kinder, die an diesem Programm teilgenommen haben, sind später weniger anfällig für Drogensucht. Damit sich noch mehr Grundschulen daran beteiligen können, habe ich erreicht, dass aus dem Bundeshaushalt eine halbe Million Euro für „Klasse 2000“ bereitgestellt werden. Ein guter Ansatz zur Onlinesucht-Prävention ist auch die App „Menthal“, die Bonner Wissenschaftler entwickelt haben. Die App misst genau, wann sie ihr Smartphone einschalten und wie lange. So kann man lernen, bewusster mit dem Medium umzugehen.
Einige Städte wollen den Verkauf von Cannabis legalisieren. Warum sind Sie dagegen?
Mortler:
Man kann die Tür leicht öffnen, aber nur schwer wieder schließen. Es ist ein Experiment mit fragwürdigem Ausgang. Viele Mediziner sagen, eine generelle Freigabe können sie mit ihrem ärztlichen Gewissen nicht vereinbaren, denn Cannabis ist alles andere als ungefährlich. Unsere Pläne sehen aber auch vor, mehr schwerkranken Menschen als bisher Cannabis-Produkte als Medizin zur Verfügung zu stellen und eine Erstattung durch die Kassen zu ermöglichen.
Sind legale Drogen wie Tabak und Alkohol nicht gefährlicher?
Mortler:
Man sollte das eine nicht gegen das andere ausspielen. Ich begrüße, dass Baden-Württemberg den Alkoholverkauf an Jugendliche nach 22 Uhr untersagt hat. Das sollte Nachahmer finden. Auch das Tabak-Außenwerbeverbot wird endlich kommen.
In Großbritannien darf ab Oktober in Autos nicht mehr geraucht werden, wenn Minderjährige an Bord sind. Ein Vorbild?
Mortler:
Das Thema finde ich sehr spannend. Oft wird ja argumentiert, man greife zu tief in die Freiheitsrechte der Eltern ein. Hier geht es aber darum, dass Kinder dauerhaft geschädigt werden, weil die Rauchkonzentration im Auto um ein Vielfaches höher ist als im Freien. Ich würde die Prüfung innerhalb des Kinder- und Jugendschutzes eines solchen Verbots sehr begrüßen.
Auch beim Alkohol-Konsum sind Eltern ja oft ein schlechtes Vorbild.
Mortler:
Hier ist noch viel Aufklärung nötig. Ich war überrascht von einer Studie, nach der 50 Prozent der Schwangeren, auch aus besser gebildeten Kreisen, nicht wussten, wie schädlich Alkohol für das Ungeborene ist, dass er bleibende körperliche und geistige Schäden verursachen kann. Wir haben daher Leitlinien für alle Berufsgruppen entwickelt, die mit Schwangeren zu tun haben, um die Information und Anwendung in der Praxis zu verbessern.
Synthetische Drogen wie Amphetamin oder Ecstasy werden beliebter – wie reagieren Sie darauf?
Mortler:
Bei den „klassischen“ illegalen Drogen verzeichnen wir positive Entwicklungen. Amphetamine wie Ecstasy und Co. sind nach wie vor in der Partyszene weit verbreitet. Beunruhigend ist die Situation aber auch bei den sogenannten Neuen Psychoaktiven Substanzen (NPS). Aufgrund immer neuer chemischer Veränderungen werden einige nicht vom Betäubungsmittelgesetz erfasst. Diese werden dann vermeintlich legal über das Internet verkauft. Es besorgt mich, dass viele Jugendliche diese Mittel ganz arglos im Netz bestellen. Es ist ein Gesetz in Arbeit, das alle fraglichen Stoffgruppen erfassen soll. Auch eine besonders gefährliche Variante der Amphetamine treibt mich um: Kristallines Meth-Amphetamin, Crystal Meth genannt. Es ist einfach herzustellen, leicht verfügbar und sehr gefährlich. Die Abhängigkeit entsteht schnell und ein Entzug ist extrem hart.
Eine drogenfreie Welt ist vermutlich eine Illusion. Kämpfen Sie gegen Windmühlen?
Mortler:
Wir können deshalb ja nicht die Hände in den Schoß legen. Es ist unsere Pflicht und Aufgabe, die Menschen über die Gefahren aufzuklären. Wir setzen auf Prävention und konkrete Hilfe. Mein Besuch an der Essener Carl-Funke-Grundschule soll zeigen: Wir können gar nicht früh genug mit der Aufklärung beginnen.