Donezk. Die Separatisten in der Ostukraine lassen wählen und werden in ihren Funktionen bestätigt. Kiew und Brüssel sehen die Abstimmung als illegal an, Moskau ist anderer Ansicht und bastelt weiter an Präsident Putins Vision von “Neurussland“.

Bei den umstrittenen Wahlen im Konfliktgebiet Ostukraine sehen sich die bisherigen Separatistenführer erwartungsgemäß als Sieger. Für die selbst ernannte "Volksrepublik" Donezk wurde Alexander Sachartschenko als "Republikchef" bestätigt, in der benachbarten und ebenfalls nicht anerkannten "Volksrepublik" Lugansk gewann der "Amtsinhaber" Igor Plotnizki, wie die "Wahlleitungen" am Sonntag mitteilten. Ungeachtet der noch laufenden Auszählung der Stimmzettel wurden die beiden Politiker am Abend zu Siegern erklärt.

Das russische Außenministerium bekräftigte prompt, dass es den Willen der Wähler in der Ostukraine achte. Die Abstimmung sei bei hoher Wahlbeteiligung im Großen und Ganzen gut organisiert gewesen.

EU will die Wahl nicht anerkennen

"Die gewählten Vertreter haben ein Mandat bekommen, die praktischen Aufgaben beim Wiederaufbau eines normalen Lebens in den Regionen zu erfüllen", teilte die Behörde mit. Russland forderte die Donbass-Führung auf, mit der ukrainischen Regierung in Dialog zu treten. Nur so könne die Krise in der Ukraine gelöst werden, hieß es. Zuvor hatte Russlands Außenminister Sergej Lawrow gegen internationalen Protest angekündigt, dass Moskau die Wahlen anerkennen werde.

Die neue EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bezeichnete die Wahlen in Lugansk und Donezk als "illegal und rechtswidrig". Sie halte die Wahlen für ein neues Hindernis auf dem Weg zum Frieden in der Ukraine, teilte Mogherini am Abend in Brüssel mit. "Die Europäische Union wird die Wahl nicht anerkennen." Die EU werde weiter daran arbeiten, die Krise in der Ukraine zu lösen. Die EU-Außenbeauftragte rief alle Parteien auf, die Unabhängigkeit und Einheit des Landes zu respektieren.

Ergebnisse wie zu Sowjet-Zeiten

Die prorussischen Separatisten in der Ostukraine und führende russische Politiker erklärten die umstrittenen Wahlen im Konfliktgebiet Donbass für gültig. Die Abstimmung über die Parlamente und "Republikchefs" der selbst ernannten "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk seien nach internationalen Standards abgelaufen, sagte der prominente russische Außenpolitiker Leonid Sluzki am Sonntag.

Bei der Abstimmung waren nur prorussische Kräfte angetreten. In Donezk berief sich "Wahlleiter" Roman Ljagin auf nicht näher beschriebene Prognosen, wonach der "amtierende Republikchef" Alexander Sachartschenko mit 81,37 Prozent der Stimmen rechnen könne. Zwei weitere Kandidaten hatten demnach keine Chance.

Bewohner sehnen sich nach Frieden

Mehr als ein halbes Jahr nach Beginn des blutigen Konflikts sehnen sich die Bewohner in der traditionell russisch geprägten Ostukraine nach Ruhe und Stabilität. Dass die proeuropäischen Kräfte in Kiew eine Woche nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl von einer "Farce" sprechen und mit Strafverfahren drohen, lächelt Sachartschenko weg. Kiew könne machen, was es wolle. Auf ein gewaltsames Eingreifen verzichtet das Militär aber.

Ursprünglich hatte der proeuropäische Präsident Petro Poroschenko am 7. Dezember in der Ostukraine regionale Wahlen nach ukrainischem Recht abhalten wollen. Noch am Abend erklärte er die "Pseudowahlen" daher für ungültig. Und er warnte, dass der Friedensprozess nun bedroht sei.

Doch mit der Abstimmung untermauern die prorussischen Kräfte weiter ihren Anspruch auf Eigenständigkeit. Nach ihren Referenden über ihre Unabhängigkeit im Mai sehen sich die "Volksrepubliken" Donezk und Lugansk mehr denn je auf dem Weg einer endgültigen Abspaltung von der in die EU strebenden Ukraine. Antiwestliche Reflexe sitzen in der Region mit starkem Einfluss der russisch-orthodoxen Kirche tief.

Abstimmung per Mail im Internet erlaubt

Als hätten sie ihre Texte auswendig gelernt, äußern sich Wähler immer wieder ähnlich vor den Fernsehkameras: "Ich bin gekommen, um für den Volkswillen zu stimmen. Dafür, dass es im Donbass eine vollwertige, wirkliche Volksmacht gibt. Ich bin freiwillig gekommen, so wie alle hier Anwesenden." Und auch dies wird betont: "Niemand hat uns gezwungen - weder Soldaten mit Maschinengewehren noch andere."

Nach den humanitären Lieferungen aus Russland decken sich viele Menschen am Wahltag dankbar mit Gemüse und anderen Lebensmitteln ein. Die russische Hilfe beantwortet für viele auch die Frage, wie das vom Krieg gezeichnete Gebiet als unabhängige Region künftig überleben will.

Zwar räumen selbst kremltreue Beobachter wie der Moskauer Funktionär Alexander Brod ein, dass die Wählerlisten Fragen aufwerfen würden. Aber er und auch Abgeordnete des russischen Parlaments betonen, dass dies eine Abstimmung unter besonderen Umständen sei. Weil Hunderttausende Menschen auf der Flucht sind, ist sogar die Abstimmung per E-Mail im Internet erlaubt. Auch in Flüchtlingslagern auf russischem Gebiet stimmen Ukrainer zu Tausenden ab.

Putin von Drohungen des Westens unbeeindruckt

Zweifel, ob es bei dem Urnengang fair und frei zugeht, wischen die Organisatoren weg. Russland hat schon vorab erklärt, dass es die Ergebnisse - wie zuletzt die Parlamentswahl in Kiew - anerkennen werde. Kremlchef Wladimir Putin zeigt sich zudem weiter unbeeindruckt von Drohungen des Westens, Russland wegen seiner Ukraine-Politik zu bestrafen. Er benutzt mit Blick auf das Konfliktgebiet auch immer wieder den historischen Begriff Noworossija für die Region.

Die Wahl dürfte dem Streben der Separatisten Auftrieb geben, einen Staat Noworossija zu errichten. Historisch gehört dazu ein deutlich größeres Gebiet als Donezk und Lugansk, die allein kaum lebensfähig sind. Weder in Kiew noch in Moskau gilt daher als ausgeschlossen, dass die Kämpfe aufflammen und sich dann auch wieder in Richtung der Küstenstadt Mariupol oder sogar bis nach Odessa am Schwarzen Meer ausweiten. Odessa galt zu Zarenzeiten als Perle des damaligen Gouvernements Noworossija. (dpa)