Bagdad/Jerusalem.. Der Nahe und der Mittlere Osten versinken mit dem Vormarsch der islamistischen Isis-Terroristen im Chaos. Es brodelt von Israel bis Irak, von Libyen bis Iran, von der Türkei bis zum Jemen. Das könnte dazu führen, dass der Westen wieder mit Despoten dieser Region kooperiert. Eine Analyse.

Der Nahe und Mittlere Osten werden immer mehr zum Pulverfass: Kämpfer der Terrorgruppe Isis, die dabei sind, den Irak in ihre Gewalt zu bringen, rücken nun auf die jordanische Grenze vor – damit droht dem nächsten Land in der Region die Destabilisierung.

Gleichzeitig bombardiert die israelische Luftwaffe nach einem Raketenbeschuss aus Syrien Stellungen im Nachbarland – die härteste Reaktion Israels auf einen Grenzzwischenfall seit Beginn des Bürgerkriegs in Assads Reich. In der Region droht ein Flächenbrand.

Geschwächte Staatsgewalten

Selbst ein Breitbildschirm kann die Faktenlage in Nahost kaum noch übersichtlich darstellen. Denn Irak und Syrien sind nicht die einzigen Brandherde. Es brodelt von Libyen bis zum Iran, von der Türkei bis an die Südspitze Jemens. Schwer zu sagen, welche Entwicklung besorgniserregender ist, welche schwerer wiegt. Libyen zerfällt im Chaos, Ägypten versinkt in Armut. Rund um Gaza liefern Israelis und Palästinenser sich immer heftigere Scharmützel, während das Westjordanland nach der Entführung dreier israelischer Jugendlicher einer Ausgangssperre unterliegt.

Und nun explodiert der Irak und droht, Jordanien mit sich in den Staatentod zu reißen, und so den Iran, Saudi Arabien, die Türkei und Israel zu involvieren. Angesichts dieser Aussichten erscheinen Wasserarmut und Chaos in Jemen oder die inneren Spannungen der Golfstaaten noch fast gemütlich.

Die gemeinsame Konstante: der Krieg der Konfessionen

Trotz aller Unterschiede haben alle Krisen mehrere Komponenten gemein. Vielerorts tobt ein konfessioneller Konflikt: Die muslimische Welt ist in eine sunnitische Mehrheit und eine schiitische Minderheit gespalten. Der Arabische Frühling hat die zentralen Staatsgewalten so geschwächt, dass dieser seit Jahrhunderten schwelende Konflikt wieder an die Oberfläche treten konnte – und nun die Trennlinien zwischen den verfeindeten Lagern definiert. Doch er ist nicht Auslöser der Krisen.

Ursache war das Unvermögen der arabischen Staaten, ihren Bürgern eine bessere Zukunft zu bieten. Wie eine Reihe von UN-Berichten seit 2002 festhält, leiden die 22 arabischen Staaten an einem Mangel an Emanzipation, an Freiheit und einem Mangel an Bildung. Dieses Missmanagement hat dazu geführt, dass sie im Jahr 2005 weniger industrialisiert waren als 1975.

Armut und Aussichtslosigkeit

Armut und Aussichtslosigkeit wuchsen, bis eine junge Generation arbeitsloser Männer und Frauen ein Mitspracherecht und ihre Zukunft einforderten – und die staatlichen Gefüge zum Einsturz brachten. Doch außer in Tunesien gab es nirgends Zivilgesellschaften, um das Staatskorsett zu ersetzen.

Der rapide Vormarsch der Terrorgruppe Isis im Irak demonstriert den Zusammenbruch der Strukturen, die den Nahen Osten in den vergangenen 100 Jahren kennzeichneten. Isis will nicht nur den Irak, sondern die ganze Region verändern. Keine Grenze, kein Staat soll bestehen bleiben, keine andere Ideologie überleben. Einer dürfte sich darüber freuen: Syriens Diktator Baschar al-Assad hat genügend Öl ins eigene Feuer gegossen, um Recht zu behalten. Er hat dazu beigetragen, aus dem Protest friedlicher Staatsbürger einen Existenzkampf zwischen Ordnung und Chaos einer Region zu machen.

Assads Rückkehr ins politische Spiel - der Feind meines Feindes ...

Wie die anderen Potentaten Arabiens stellt Assad den Westen jetzt vor die Wahl: Träumte man noch unlängst von mehr Demokratie in Nahost, kann der Westen nun entweder mit totalitären Regimen kooperieren, die er wenigstens einschätzen kann – wie die Vernichtung von Syriens Giftgasarsenal demonstriert – oder allein gegen fundamentalistische Extremisten kämpfen.

So unangenehm es ist: Angesichts der Erfolge von Isis könnte der Westen sich bald gezwungen sehen, mit Assad und seinesgleichen zu kooperieren. Nicht, um die Probleme der Bewohner an der Wurzel zu packen, sondern um sich selbst davor zu schützen, dass diese ihn in Form von Flüchtlingen und Attentaten heimsuchen.