Athen. Alle Worte aus Brüssel und Berlin blieben wirkungslos: Die Mehrheit der Griechen hat genug vom Sparkurs. Experten sehen die Banken vor dem Kollaps.

Das klare Nein der Griechen zu den Sparvorgaben der Gläubiger hat eine intensive EU-Krisendiplomatie ausgelöst. Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande wollen bereits am Montag in Paris über die Konsequenzen beraten. "Beide sind sich darin einig, dass das Votum der griechischen Bürger zu respektieren ist", hieß es in einer Erklärung des Bundespresseamtes.

Deutliche Mehrheit gegen den Sparkurs

Bei dem Referendum war eine überraschend deutliche Mehrheit der Griechen der Linie von Regierungschef Alexis Tsipras gefolgt und hatte sich gegen die Spar- und Reformvorschläge der internationalen Geldgeber ausgesprochen. Nach Auszählung aller Stimmzettel stimmten 61,31 Prozent mit "Nein", wie das Athener Innenministerium am frühen Montagmorgen mitteilte. Nur 38,69 Prozent sprachen sich am Sonntag dafür aus, unter den Konditionen der Geldgeber weiter zu verhandeln.

Dabei hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker im Einklang mit der Bundesregierung bis zuletzt die griechische Bevölkerung mit eindringlichen Worten aufgefordert, den Sparvorgaben der Gläubiger zuzustimmen, um eine griechische Staatspleite zu verhindern.

EU-Ratspräsident Donald Tusk berief nach Bekanntwerden des Abstimmungsergebnisses einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der 19 Euro-Länder für diesen Dienstag (18.00 Uhr) in Brüssel ein. Zur Vorbereitung soll es am selben Tag ein Treffen der Euro-Finanzminister geben. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem sprach von einem "sehr bedauerlichen Ergebnis" des Referendums. "Wir werden nun auf Initiativen der griechischen Führung warten", sagte er.

Ebenfalls am Montag will EU-Kommissionschef Juncker mit Spitzenvertretern der EU-Institutionen über das weitere Vorgehen beraten. Es sei eine Telefonkonferenz mit EU-Gipfelchef Tusk, Eurogruppenchef Dijsselbloem und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, geplant, teilte die EU-Kommission mit.

"Mandat ruft nicht nach Bruch mit Europa"

Tspiras forderte nach dem Erfolg beim Referendum Zugeständnisse der internationalen Geldgeber. Sein Land sei weiter zu Reformen bereit, dringend notwendig seien aber Investitionen sowie die Umstrukturierung der Schulden, sagte Tsipras am Sonntagabend in einer Fernsehansprache. An seine Landsleute gewandt betonte Tsipiras: "Das Mandat, das Sie mir erteilt haben, ruft nicht nach einem Bruch mit Europa, sondern verleiht mir eine größere Verhandlungsmacht."

Unter den Euro-Staaten gab es unterschiedliche Reaktionen auf das griechische Referendum. Der Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dem "Tagesspiegel" (Montag), Tsipras habe "letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten".

Dagegen sprach sich die italienische Regierung für neue Verhandlungen aus. "Jetzt ist es richtig, wieder damit anzufangen, eine Vereinbarung zu suchen", erklärte Außenminister Paolo Gentiloni. Bereits im Tagesverlauf hatte Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron gefordert, es gehe darum, einen guten Kompromiss zwischen den notwendigen Reformen und der Solidarität mit dem von der Staatspleite bedrohten EU-Land zu finden.

Angesichts der wachsenden sozialen Not in Griechenland erwartet EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dass die Europäische Union schon am Montag oder Dienstag ein "humanitäres Hilfsprogramm" für das Euro-Krisenland auflegt.

Börsen reagieren mit Verlusten auf Referendum

In Athen feierten kurz nach Schließung der Wahllokale Tausende Gegner des Reformprogramms auf den Platz vor dem Parlament. Viele Griechen machen die Gläubiger aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank und deren Sparvorgaben für die dramatische Lage im eigenen Land verantwortlich.

Als Reaktion auf das Ergebnis des Referendums verzeichnete die Börse in Tokio starke Verluste. Der Nikkei-Index für 225 führende Werte verlor bis zur Handelsmitte 324,63 Punkte oder 1,58 Prozent auf den Zwischenstand von 20 215,16 Zählern. Der breit gefasste Topix sank um 23,43 Punkte oder 1,42 Prozent auf 1628,66 Punkte. (dpa)

Drohender Kollaps: Wie geht es weiter mit Griechenlands Banken?

Griechenlands Banken steht das Wasser bis zum Hals. Seit einer Woche sind die Institute geschlossen, an den Geldautomaten im Land gibt es nur noch Mini-Beträge. Die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras macht den Menschen Hoffnung, dass sie bald wieder an ihre Ersparnisse kommen. Doch die meisten Beobachter sind skeptisch: Sie sehen die Banken vor dem Kollaps.

Warum sind die Banken seit 29. Juni geschlossen?

Die Regierung in Athen sah sich zu diesem Schritt gezwungen, um den dramatischen Kapitalabfluss zu bremsen. Je länger der Schuldenstreit Griechenlands mit den Geldgebern dauerte, umso mehr Bankkunden räumten ihre Konten leer, viele schafften Geld ins Ausland. Die Geldeinlagen bei den Hellas-Banken sanken bis zur vorübergehenden Schließung der Institute auf 124 Milliarden Euro. Das ist der niedrigste Stand seit 2009 als es noch etwa 233 Milliarden Euro waren. Faktisch ging den Instituten, die ohnehin unter Altlasten wie faulen Krediten ächzen, das Geld aus - zumal die Europäische Zentralbank (EZB) keiner weiteren Erhöhung von Rettungskrediten zustimmte. Die Regierung musste die Notbremse ziehen und verhängte Kapitalverkehrskontrollen. Demnach sollen die Geschäftsbanken des Landes bis einschließlich Montag (6.7.) geschlossen bleiben.

Was bedeutet das für Verbraucher und Unternehmen?

Seit Anfang vergangener Woche bekommen die Griechen am Geldautomaten täglich höchstens 60 Euro. Oft müssen sie lange warten, bis sie am Automaten zum Zug kommen. Augenzeugen berichten, dass allmählich die 20-Euro-Scheine knapp werden und deshalb an einigen Automaten sogar nur 50 Euro ausgezahlt werden. Für Firmen sind Geschäfte mit dem Ausland derzeit nur unter strengen Auflagen möglich: Eine Kommission innerhalb des Finanzministeriums muss Überweisungen auf ausländische Konten genehmigen. Touristen können - zumindest theoretisch - weiter unbegrenzt Geld am Automaten abheben. Das Auswärtige Amt und der deutsche Privatbankenverband BdB raten Griechenland-Urlaubern jedoch, ausreichend Bargeld mitzunehmen - in möglichst kleinen Scheinen.

Wie lange reicht das Geld der griechischen Banken noch?

Es geht um Tage. Sollte sich nicht doch noch eine Einigung mit den Geldgebern abzeichnen und die EZB den Geldhahn wieder öffnen, dürften Griechenlands Banken nicht mehr lange überleben, prognostizierte der Chef der deutschen Finanzaufsicht Bafin, Felix Hufeld bereits vor einer Woche: "Das können Sie in Tagen zählen." Hufeld ist über die EZB-Bankenaufsicht an der Überwachung der Hellas-Institute beteiligt. Die DZ Bank unterstreicht den Ernst der Lage: "Die griechische Notenbank erwägt nun, das Tageslimit für Abhebungen an Geldautomaten von 60 Euro auf nur noch 20 Euro zu senken", schreibt Analyst Daniel Lenz. "Es dürfte nur noch eine Frage von Tagen sein, bis es Bargeldengpässe gibt." Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer erklärt: "Die Kapitalverkehrskontrollen haben den Liquiditätsabfluss bei den Banken nur eingedämmt, aber nicht beendet." Würde nur jeder Dritte der knapp 9 Millionen erwachsenen Griechen täglich den Höchstbetrag abheben, würden jeden Tag knapp 200 Millionen Euro abgezogen. Damit dürfte die Obergrenze der Notkredite bald erreicht sein, sagt Krämer: "Die Banken könnten dann schnell illiquide werden."

Woher bekommen die Institute frisches Geld?

Seit Monaten sind Ela-Notkredite (Emergency Liquidity Assistance/Ela) die einzige Geldquelle der griechischen Banken. Doch die EZB, die diese Kredite der griechischen Nationalbank billigen muss, hat das maximale Ela-Volumen am 28. Juni bei rund 90 Milliarden Euro eingefroren. Kritiker wie Bundesbank-Präsident Jens Weidmann fordern schon länger, Ela ganz zu stoppen, weil damit marode Banken künstlich am Leben gehalten würden. Noch hat sich der EZB-Rat nicht festgelegt, wie er sich nach der griechischen Volksabstimmung, bei der sich am Sonntag eine deutliche Mehrheit gegen die Sparvorgaben der internationalen Gläubiger aussprach, verhalten wird. Für DZ-Bank-Analyst Daniel Lenz ist klar: "Wird Ela gestoppt, folgte wegen der Illiquidität der Banken ihre Insolvenz und damit würde nahezu zwangsläufig der Grexit ausgelöst." Ein Austritt Griechenlands aus dem Euroraum ("Grexit") wäre nach Einschätzung vieler Volkswirte ökonomisch dann nicht mehr zu verhindern, weil Athen nur mit einer eigenen Währung sein Finanzsystem wieder ins Laufen bekommen würde.

Wie bewerten Ratingagenturen die Lage?

Die großen Ratingagenturen bewerteten die Einschränkungen bei der Bargeldversorgung im Zuge der Kapitalkontrollen als teilweisen Zahlungsausfall und senkten den Daumen über die großen Banken des Landes: Alpha Bank, Eurobank, National Bank of Greece und Piraeus Bank. Drei dieser Institute, die zusammen einen Marktanteil von etwa 90 Prozent in Griechenland haben, hatten den EZB-Stresstest im vergangenen Jahr nicht bestanden. Die schlechteren Noten für die Kreditwürdigkeit der Institute sind ein weiteres Warnsignal an Investoren und erschweren die Trendwende zusätzlich.

Könnte Griechenland sich selbst Euros drucken?

Technisch wären das Land dazu in der Lage, denn die griechische Nationalbank hat eine eigene Druckerei. Dort werden auch tatsächlich Zehn-Euro-Scheine hergestellt, im Jahr 2014 waren es 94 Millionen Stück. Allerdings darf die Bank of Greece nicht einfach die Notenpresse anwerfen wie sie will: Wer wie viele Scheine von welcher Sorte druckt, legt der EZB-Rat fest. So teilen sich die Euroländer die Herstellung des gemeinsamen Geldes untereinander auf. (dpa)