Kiew..
Bei den Protesten der Opposition gegen die ukrainische Führung hat es gestern in Kiew ein weiteres Blutbad mit dutzenden Toten gegeben. Die meisten Opfer starben, als Scharfschützen gezielt auf Demonstranten feuerten. Auch Sicherheitskräfte wurden getötet. Selbst Männer, die Verwundete bergen wollten, wurden beschossen. Es war zunächst völlig unklar, in wessen Auftrag geschossen wurde. Opposition und Regierung machten sich gegenseitig für die blutige Eskalation der Lage verantwortlich.
Regimegegner und Polizisten lieferten sich schwere Straßenkämpfe; rund um den Unabhängigkeitsplatz Maidan herrschten bürgerkriegsartige Zustände. Nach offiziellen Angaben starben allein gestern mindestens 45 Menschen, radikale Regierungsgegner sprachen von mindestens 60 Toten.
Der Bürgerkrieg scheint sich zudem immer mehr zum Flächenbrand zu entwickeln: In mehreren westukrainischen Städten sollen ganze Polizeieinheiten zu den Regierungsgegnern übergelaufen sein, berichteten örtliche Medien.
Am Abend beschloss das Parlament in einem wohl vor allem symbolisch wichtigen Schritt ein Ende des am Vortag vom Geheimdienst angekündigten „Anti-Terror-Einsatzes“ im Land. Die Abgeordneten verlangten, dass sich alle Einheiten in ihre Kasernen zurückziehen, wie Fernsehsender live berichteten. Zudem untersagten die Parlamentarier fast einstimmig den Einsatz von Schusswaffen.
Unter dem Eindruck der dramatischen Ereignisse beschlossen die EU-Außenminister Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Gewalt. Sie sollen vor allem die Regierung des Landes treffen. Die Minister einigten sich auf Einreiseverbote und Kontensperrungen. Ungewiss blieb aber, wann die Sanktionen tatsächlich in Kraft treten.
Ein EU-Vermittler-Trio um Außenminister Frank-Walter Steinmeier schlug Präsident Viktor Janukowitsch bei einem Besuch in Kiew eine politische Lösung vor: Demnach sollen eine Übergangsregierung gebildet, eine Verfassungsreform begonnen und Parlaments- und Präsidentenwahlen abgehalten werden. Während Polens Präsident Donald Tusk am Abend von einem Durchbruch sprach, hieß es in der Nacht aus Kiew, es gebe noch keine Lösung.