Berlin. Der Vertrag zum Kampf gegen Erderwärmung tritt in Kraft. Doch das „Wunder von Paris“ braucht Nachbesserung: Die Zusagen reichen nicht.
Am Freitag tritt das Pariser Weltklimaabkommen offiziell in Kraft. Über zwei Jahrzehnte hat die internationale Staatengemeinschaft darum gerungen, eine Antwort auf die Erderwärmung zu finden. Fast zwei Dutzend UN-Klimagipfel waren dafür nötig, ein jeder mit monströsem Aufwand.
Manche dieser Konferenzen hatten etwas von Hollywood. Es gab eine Torte, die in das Gesicht des Delegationsleiters der USA flog. Es gab Teilnehmer, die nach tagelangem Schlafentzug im Stehen schliefen. Es flossen Tränen der Enttäuschung, als es zwischenzeitlich so aussah, als ob es niemals gelingen könnte, alle 192 Staaten zu einer Unterschrift zu bewegen. Und so flossen Tränen der Rührung, als sich die Welt Mitte Dezember vergangenen Jahres doch noch auf ein gemeinsames Abkommen einigte.
Aus Zitterpartie wird Punktlandung
Es ist höchst ungewöhnlich, dass ein UN-Abkommen nur knapp ein Jahr benötigt, um nach der Einigung in Kraft zu treten. Bis vor wenigen Wochen noch hatte das Pariser Vertragswerk den Klimadiplomaten Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Laut der UN-Regularien für das Inkrafttreten des Klimavertrags gilt: Gültigkeit erlangt es 30 Tage nachdem 55 Länder das Abkommen ratifiziert haben, die mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantworten.
Am Freitag ist dies gegeben, womit aus der Zitterpartie doch noch eine Punktlandung wurde. Wenn am kommenden Montag der nächste UN-Klimagipfel in Marrakesch beginnt, dann ist das Vertragswerk ein wenig sicherer vor US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump. Der Republikaner, der den Klimawandel für eine Erfindung der Chinesen hält, würde im Falle seiner Wahl das Abkommen annullieren.
Die Kernpunkte des Weltklimavertrags
Kern der Vereinbarung, die erstmals Industrie- und Entwicklungsländer umfasst, ist das Bekenntnis, die Erderwärmung durch eine weltweite Energiewende zu stoppen. Hierfür strebt die Weltgemeinschaft den Abschied von Öl, Gas und Kohle an. Eine beispiellose Herausforderung: Bis zur Mitte des Jahrhunderts soll die Welt CO2-neutral leben. Das bedeutet, dass nicht mehr Kohlendioxid ausgestoßen werden darf, als gleichzeitig durch Wälder, Meere oder in unterirdischen Depots gebunden wird.
Über allem steht das Ziel, den Anstieg der globalen Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf „deutlich unter zwei Grad“ zu begrenzen. Die Vertragsstaaten sollten sich aber anstrengen, die Erwärmung bei 1,5 Grad zu stoppen. Viele Forscher sehen das Erreichen des Zwei-Grad-Ziels als unabdingbar, will die Menschheit die Folgen des Klimawandels noch steuern.
Gravierende Folgen für Südeuropa
Erwärmt sich die Erde stärker als zwei Grad, könnte es nach Ansicht vieler Wissenschaftler zu drastischen Umweltveränderungen kommen. Eine Studie hatte vor wenigen Tagen aufgezeigt, das eine stärkere Erwärmung insbesondere für den Süden Europas gravierende Folgen haben würde: Teile Spaniens, Frankreichs und Portugals könnten zur Wüste werden.
In dem Pariser Klimavertrag geht es auch um Finanzhilfen und die Bereitstellung von Umwelttechnologien für Länder, die von den Klimafolgen besonders betroffen sind. Es geht um gigantische Summen. Von 2020 bis 2025 sollen die Industriestaaten jährlich 100 Milliarden Dollar für Entwicklungsländer bereitstellen.
Hilfe für ärmere Länder
Für die Jahre danach soll es ein neues, höheres Ziel geben. Noch vor 2025 soll die vereinbarte Geldsumme neu verhandelt werden. Andere Länder „werden darin bestärkt“, sich „freiwillig“ an der Finanzierung zu beteiligen. Der Fingerzeig gilt Schwellenländern wie China und den reichen Ölstaaten.
Die Staatengemeinschaft bekennt sich auch dazu, ärmeren Ländern bei Schäden durch den Klimawandel zu helfen. Dazu zählen Dürren, Überschwemmungen oder der Untergang von Inseln. Beabsichtigt ist auch, ein Versicherungssystem gegen Klimafolgen aufzubauen.
Abkommen mit Schwächen
Doch wie verbindlich ist dieser Klimavertrag, dessen Zustandekommen man als „Wunder von Paris“ beschrieb? Die Republikaner in den USA kündigten kurz nach der Einigung an, das Papier zu „schreddern“. Und Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo-Instituts kritisierte, dass das Abkommen lediglich moralische Appelle und Lippenbekenntnisse enthalte.
Tatsächlich sind wesentliche Teile des Weltklimaabkommens zwar völkerrechtlich verbindlich. Der größte Haken aber ist, dass es keine Strafen bei Nichterfüllung der Zusagen gibt. Letztlich kann die Weltgemeinschaft kein Land zum Klimaschutz zwingen. Der Vertrag setzt auf die freiwillige Umsetzung, er sieht keine Instrumente vor, um unwillige Länder zum Mitmachen zu bewegen. Auch können Staaten drei Jahre nach dem Inkrafttreten das Übereinkommen aufkündigen. Andererseits: Nur so war es überhaupt möglich, dass weltweit viele Länder den Vertrag anerkannt haben.
Maßnahmen beruhen auf Freiwilligkeit
Konkrete CO2-Ziele fehlen, stattdessen haben die Staaten freiwillige Klimaschutzmaßnahmen benannt und im UN-Klimasekretariat hinterlegt. Doch das, was auf dem Tisch liegt, reicht nach Berechnungen von Klimaforschern nicht aus, um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Selbst wenn alle Zusagen von Paris umgesetzt würden, werde die Erde sich um 2,9 bis 3,4 Grad erwärmen, heißt es in einem UN-Bericht, der am Donnerstag veröffentlich wurde.
Das diplomatische Geschick des Vertrags ist im Kleingedruckten verborgen. Weil die Anstrengungen der Länder schnell verstärkt werden müssen, wurde ein sogenannter Hebemechanismus vereinbart: Die Länder müssen alle fünf Jahre neue Ziele vorlegen, wobei diese Ziele immer anspruchsvoller werden. 2018 werden die Klimapläne zum ersten Mal überprüft, auf dieser Grundlage legen die Staaten dann 2020 neue Klimaziele vor. Im Jahr 2023 kommt dann die nächste Kontrolle. Zuckerbrot und Peitsche.
Deutschlands Abschied vom Musterschüler
Lange galten die Deutschen als Klimaschutz-Vorbild. Das Bild hat Risse bekommen. Nun zeichnet sich ab, dass die deutschen Klimaschutzpläne mit dem Pariser Ziel von „deutlich unter zwei Grad“ nicht kompatibel sind. Mehr noch: Der einstige Musterschüler wird sein Versprechen, bis zum Jahr 2020 rund 40 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als noch 1990, wohl verfehlen. Zahlen dazu will Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) Mitte Dezember vorlegen.
Der UN-Klimarat IPCC rechnet vor, dass die Welt noch maximal 200 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen darf, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nach derzeitigem Stand wäre das Budget in fünf Jahren aufgebraucht. Für Deutschland würde dies bedeuten, dass unmittelbar damit begonnen werden müsste, Schritt für Schritt die ersten der 150 Kohlekraftwerke in Deutschland stillzulegen.
Deutscher Klimaschutzplan 2015 liegt auf Eis
Der Plan dazu lässt immer noch auf sich warten: Der von Umweltministerin Hendriks langfristig angelegte Klimaschutzplan 2050 liegt wegen Unstimmigkeiten auf Eis. Darin sollen Industrie und Gesellschaft Einsparziele für sämtliche Sektoren aufgezeigt werden. Auf Druck des Wirtschafts-, Verkehrs- und des Landwirtschaftsministeriums wurden die meisten Ziele in den vergangenen Monaten verwässert.