Attendorn/Berlin. Großeinsatz gegen Islamisten im Sauerland, Berlin und Niedersachsen: Der Hauptverdächtige kam wohl als Flüchtling über die Balkanroute.
Bei einem Großeinsatz gegen Islamisten im nordrhein-westfälischen Attendorn, in Hannover und in Berlin sind drei Verdächtige festgenommen worden. In Sicherheitskreisen besteht der Verdacht, dass ein von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gesteuerter Anschlag geplant war. Insgesamt waren rund 450 Beamte im Einsatz. Mehrere Medien berichteten am Donnerstag, der Berliner Alexanderplatz sei Ziel des geplanten Anschlags gewesen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat inzwischen bestätigt, dass es bei den Razzien um Anschlagspläne gegen die Hauptstadt ging. Zum möglichen Anschlagsziel Alexanderplatz wollte sich die Behörde nicht äußern.
Zudem berieten die mutmaßlichen islamistischen Terroristen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Sicherheitskreisen vom Donnerstag in einem abgehörten Telefonat darüber, ob etwa der Checkpoint Charlie im Stadtzentrum ein lohnenswertes Angriffsziel sein könnte. Ein in Berlin festgenommener Algerier habe in zwei Backshops gearbeitet – einer lag demnach nahe des früheren deutsch-deutschen Grenzübergangs Checkpoint Charlie, der zweite im S-Bahnhof Alexanderplatz.
Hauptverdächtiger im Sauerland festgenommen
Der Hauptverdächtige hielt sich in einem Erstaufnahmeauflager für Flüchtlinge in Attendorn im Sauerland auf. Nach Polizeiangaben wurde der 35-jährige Mann festgenommen. Er soll in Syrien militärisch ausgebildet worden sein. Auch die Ehefrau des Hauptverdächtigen ist festgenommen worden. Die 27-jährige Frau aus Algerien sei wie ihr 35-jähriger Mann ebenfalls mit einem von den algerischen Behörden ausgestellten internationalen Haftbefehl gesucht worden, teilte die für die Aktion federführende Polizei in Berlin mit. Beiden wird von den algerischen Behörden Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat vorgeworfen.
Der Tipp kam vom Verfassungsschutz
Insgesamt geht es bei den Polizeieinsätzen um vier verdächtige Algerier. Offenbar erhielt die Polizei den ersten Hinweis auf den Hauptverdächtigen in NRW vom Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Zuge weiterer Ermittlungen habe man Kontakte des Mannes zu Islamisten in Berlin und Hannover festgestellt. Dort gab es Durchsuchungen in einem Mehrfamilienhaus im Stadtzentrum sowie in einem Flüchtlingsheim im nördlich von Hannover gelegenen Isernhagen. Dabei wurde ein gesuchter 26-Jähriger angetroffen, aber nicht festgenommen. Nähere Angaben hat die Polizei in Hannover bislang nicht gemacht.
Ein weiterer Verdächtiger wurde in Berlin festgenommen. Dort wird laut Polizei zudem weiterhin nach einem 31-Jährigen gesucht. Bei den Durchsuchungen wurden unter anderem Computer, Mobiltelefone und Aufzeichnungen sichergestellt, deren Auswertung aber noch andauert.
Hauptverdächtiger als Flüchtling in Bayern registriert
Schon seit Beginn des Jahres verdichteten sich offenbar die Hinweise der Sicherheitsbehörden auf mögliche Anschlagspläne der Gruppe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz soll den Ermittlern von Polizei und Kriminalämtern in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Niedersachsen den ersten Hinweis auf die konspirative Gruppe gegeben haben.
Der 35-Jährige, den die Polizei als Hauptverdächtigen in Attendorn festnahm, soll laut Sicherheitskreisen als Flüchtling getarnt über die Balkanroute nach Europa und Deutschland eingereist sein. Der mutmaßliche Islamist war kein Unbekannter, sondern den Behörden offenbar als ein überzeugter Dschihadist bekannt. Der Algerier wurde bereits per internationalem Haftbefehl von den algerischen Behörden gesucht. Der Vorwurf: Er sei Mitglied einer terroristischen Vereinigung. Die Beamten sammelten Hinweise, darunter etwa Bildaufnahmen, die den Verdächtigen bei Kampfhandlungen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien und im Irak zeigen sollen.
Nach Informationen unserer Redaktion wurde der Verdächtige im Herbst 2015 als Flüchtling in Bayern registriert. Demnach wohnte er gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Attendorn – seit etwa drei oder vier Wochen. Die Kinder sind anderthalb und zweieinhalb Jahre alt. Er habe sich in der Erstaufnahmeeinrichtung betont unauffällig verhalten, sei sehr freundlich und zuvorkommend gewesen und habe sich viel an gemeinschaftlichen Aktionen beteiligt. Auch habe er relativ häufig Fußball gespielt.
Verbindungen zum „Islamischen Staat“
Der mutmaßliche Drahtzieher soll sich für seine Anschlagspläne nach Information unserer Redaktion Mitstreiter zusammengesucht haben und eine „Zelle“ gegründet haben. Sein engster Helfer war bei der Vorbereitung der Gewalttat offenbar der festgenommene Algerier aus Berlin, bei dem Polizisten nun die Wohnung und auch Arbeitsstätten im Zuge der Razzia durchsuchten. Der 49-Jährige wurde laut Polizei festgenommen, weil ein Haftbefehl wegen Urkundenfälschung aus einem anderen Verfahren gegen ihn vorlag. Auch dieser hatte wohl starken Bezug zur Terrorgruppe des IS. Hinweise auf eine Teilnahme an Kampfhandlungen oder Reisen nach Syrien oder Irak gibt es bei ihm aber offenbar nicht. Die anderen Tatverdächtigen – einer von ihnen hielt sich ebenfalls in Berlin auf, ein anderer in Hannover – waren ebenfalls Anhänger des IS, jedoch offenbar nicht so stark an die Miliz gebunden wie der Hauptverdächtige.
Die Gruppe soll sich konspirativ verhalten haben, mehrfach die Handys gewechselt und verschlüsselt kommunziert haben. Das ist nicht unüblich für das Vorgehen von Terroristen. Bei der Beobachtung von Terrorzellen setzen die Behörden dann vor allem auch Abhörmaßnahmen und die Observation durch Ermittler vor Ort. Davon ist auch in diesem Fall auszugehen.
Doch weiterhin sind die Behörden vorsichtig mit Informationen über die mutmaßliche Terrorgruppe. Es besteht die Gefahr, dass Mitglieder untertauchen, andere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe warnen oder Beweise vernichten. Die Ermittlungen und die Auswertung der bei den Razzien beschlagnahmten Gegenstände dauern an.
Verdächtiger hatte Kontakte zu ranghohen IS-Strategen
Der in Hannover gesuchte IS-Terrorverdächtige hatte laut Sicherheitskreisen Verbindungen zur belgischen Islamistenszene. Der 26-Jährige sei vor wenigen Wochen mindestens einmal in die Brüsseler Gemeinde Molenbeek gereist, hieß es. Dort hatte auch der getötete mutmaßliche Drahtzieher der islamistischen Anschläge in Paris vom 13. November, Abdelhamid Abaaoud, gelebt. Molenbeek gilt als Islamistenhochburg.
Der 35 Jahre alte Hauptverdächtige soll nach Informationen unserer Redaktion zudem auf einem Foto mit einem ranghohen IS-Strategen zu sehen sein. Das Bild liegt den deutschen Behörden vor. Der ranghohe IS-Mann soll schon in die Planung der Attentate von Paris im November 2015 eingebunden gewesen sein und als direkter Vorgesetzter des damaligen Hauptattentäters Abdelhamid Abaaoud fungiert haben. (mit dpa)