Düsseldorf. Das bundesweite Lagebild zu Rechtsextremismus-Verdachtsfällen ist aus NRW-Sicht bereits überholt. Außerdem wird der Ruf nach Transparenz lauter.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) geht von inzwischen deutlich mehr Rechtsextremismus-Verdachtsfällen in deutschen Sicherheitsbehörden aus, als am Dienstag im ersten „Lagebild“ von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) öffentlich bilanziert. Zwischen 2017 und März 2020 waren laut Lagebild bundesweit 377 Vorfälle aktenkundig geworden. In diese Statistik sind jedoch nur 45 Fälle aus NRW eingeflossen.
Inzwischen hat allein Reul bereits 104 Disziplinarverfahren wegen rechtsextremistischer Ausfälle von Beamten öffentlich gemacht. Weitere 37 Hinweise seien eingegangen. Auf die Frage, ob Seehofers Lagebild auch in anderen Bundesländern längst überholt sei, sagte der NRW-Innenminister: „Ich kann es nicht sagen, ich vermute es, ja.“
Informationspolitik zu Fällen im Innenministerium wirft Fragen auf
Derweil muss sich Reul in Düsseldorf Fragen zu seiner Informationspolitik gefallen lassen. Wie am Dienstag bekannt wurde, hatte er zwar bereits im Januar den Innenausschuss des Landtags darüber informiert, dass es auch in seinem unmittelbaren Geschäftsbereich im Innenministerium vier Rechtsextremismus-Verdachtsfälle gebe. Auf die Frage von Grünen-Innenexpertin Verena Schäffer nach der genauen Tätigkeit der Verdächtigten, sagte der Minister damals aber laut Ausschussprotokoll bloß: „Auf die Fälle im Geschäftsbereich seines Hauses wolle er mit Blick auf die laufenden Verfahren nicht näher eingehen, weil man eben auch über Verdachtsfälle spreche, die sich nicht zwangsläufig erhärten müssen.“
Erst mehr als acht Monate später räumte Reul vergangene Woche auf Medienanfrage ein, dass es sich ausgerechnet um ein Observationsteam des Verfassungsschutzes handelte, das unter anderem Rechtsextremisten beobachten sollte. Wiederum einen Tag später kam nur auf Nachfrage heraus, dass sogar der Teamleiter unter Verdacht steht.
Grüne wollen mehr Transparenz und externen Sachverstand
Grünen-Innenexpertin Schäffer fordert nun in einem 10-Punkte-Plan mehr Transparenz und externen Sachverstand für die Aufklärungsarbeit in den Sicherheitsbehörden. Von 104 Disziplinarverfahren wurden in NRW bislang 29 abgeschlossen, davon 21 ohne Konsequenzen für die Betroffenen. Der bislang größte Einzelfall sind Chatgruppen mit Neonazi-Inhalten bei der Polizei Mülheim, die zur Suspendierung von 31 Polizisten führten.
Die Antisemitismusbeauftragte des Landes, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, warnte am Dienstag eindringlich vor einem Vertrauensverlust in die Behörden: „Betroffene extremistischer und antisemitischer Übergriffe werden sich noch seltener an die Behörden wenden, wenn sie befürchten müssen, dass sie mit Beamten zu tun haben können, die antisemitisch oder rechtsextremistisch gesinnt sind.“