Düsseldorf. Komplott der Parteispitze? Corona bloß Vorwand? Wie eine Debatte die CDU um ihr wichtigstes Kapital bringen könnte: Verlässlichkeit.

Die CDU weiß zwar immer noch nicht, wer sie ins Bundestagswahljahr 2021 führen soll. Immerhin weiß sie seit diesem denkwürdigen Wochenbeginn, woran sie bei ihren Kandidaten wirklich ist. Friedrich Merz, den die ehrwürdige FAZ „Sauerland-Trump“ getauft hat, wirkt nach der Verschiebung des Bundesparteitages gegen seinen Willen geradezu entfesselt. Er wittert eine Verschwörung des „Partei-Establishment“ gegen sich und nennt die einstimmigen Beschlüsse der Gremien öffentlich „den letzten Teil der Aktion ‚Merz verhindern‘“. Selbst Corona soll nach dieser Lesart von der CDU-Spitze bloß als billiger Vorwand genutzt worden sein, um seine nahende Wahl zum Vorsitzenden zu sabotieren. Sein ärgster Konkurrent Armin Laschet, zu dem Merz einmal ein freundschaftliches Verhältnis unterhalten haben soll, wolle sich bloß Zeit kaufen, „um seine Performance zu verbessern“.

Die politische Strategie hinter dem Ausbruch ist schwer erkennbar

Wer in diesem Merz-Ausbruch eine politische Strategie sucht, muss die Tiraden schon sehr genau unter die Lupe nehmen. Hier und da wird vermutet, hier wolle sich der ohnehin von guten Umfragewerten verwöhnte Klartext-Mann endgültig zum Darling der sogenannten Basis machen. Aber ist es wirklich klug, jene aktiven Funktionäre bis hinauf zur Kanzlerin zu beschimpfen, die in den vergangenen 15 Jahren die CDU getragen haben, während Aussteiger Merz in Aufsichtsräten reich wurde? Ist es angemessen, die aktuelle Gesundheitskatastrophe namens Corona zum Ablenkungsmanöver für die Verschiebung eines Parteitags kleinzureden?


Merz befeuert so vielmehr alle Mutmaßungen, er sei nicht teamfähig und verfüge nicht über die nötige Impulskontrolle, die ein Kanzler in den Verhandlungen mit den Putins und Erdogans dieser Welt braucht. Ein Bundesparteitag, egal in welcher Darreichungsform, passt nicht in die Zeit der galoppierenden Infektionszahlen und permanenten Krisensitzungen. Gewiss kommt Laschet die Verschiebung zupass, weil er sich gerade als Ministerpräsident um Corona-Tests in Altenheimen und Betten-Kapazitäten auf Intensivstationen kümmern muss. Für das CDU-interne Schaulaufen bleibt da wenig Zeit. Dass er ernsthaft an bessere Persönlichkeitswerte in vier Monaten glaubt, ist unwahrscheinlich. Die Pandemie als Gewinner-Thema bleibt ziemlich unkalkulierbar. Und ein Umfrage-Held war Laschet im Gegensatz zu Merz noch nie.

Spielt Laschet wirklich auf Zeit, um seine "Performance" zu verbessern?

Am Ende könnte diese Schlammschlacht auf offener Bühne die CDU eher jenes Kapital kosten, das sie als letzte Volkspartei so lange ausgemacht hat: Verlässlichkeit, Geschlossenheit und unbedingte Regierungsprofessionalität. Fühlt sich etwa so die Zeit nach einer 16-jährigen Kanzlerschaft an, in der alles so wunderbar pragmatisch „weggemerkelt“ wurde? Das Publikum dürfte dieser Roadshow der drei NRW-Kandidaten Merz/Laschet/Röttgen bald endgültig überdrüssig sein. Wenn im Frühjahr CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur im Lichte der dann rasant nahenden Bundestagswahl völlig neu bewertet werden, könnte vielmehr ein ganz anderes Personalpaket geschnürt werden. Zu guter Letzt wollen alle in der Union gewinnen und schlagen sich auf die Seite desjenigen, der Erfolg verheißt. Sieht Bayerns Ministerpräsident Söder nach den schwierigen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg klarer, ob sich für ihn das Wagnis Berlin lohnt? Die Merz-Wutrede dürfte jedenfalls die Fantasie beflügeln. Weder in seinem noch in Laschets Sinne.