München. Carsten S. will aufräumen mit seiner Vergangenheit. Er erzählt ungeordnet und unter Tränen: Wie er von den mutmaßlichen Terroristen Böhnhardt und Mundlos Hinweise auf einen möglichen Anschlag bekam. Und dass die Hauptangeklagte Zschäpe das nicht mitbekommen sollte.
Die mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben laut
Aussage im NSU-Prozess bei der Übergabe einer
Waffe Andeutungen zu einem möglichen Anschlag gemacht. Das berichtete der
Angeklagte Carsten S. am Dienstag vor dem Oberlandesgericht München. Bei dem
Treffen hätten Böhnhardt und Mundlos ihm erzählt, sie hätten "in Nürnberg in
irgendeinem Laden eine Taschenlampe hingestellt". Er habe nicht gewusst, was sie
damit meinen, sagte S. unter Tränen. "Dann kam Frau Zschäpe und sie sagten
"psst", damit Frau Zschäpe das nicht mitbekommt."
Zu Hause sei ihm der Gedanke gekommen, dass Böhnhardt und Mundlos in
eine Taschenlampe Sprengstoff eingebaut haben könnten. Die Aussagen des
33-Jährigen könnten die Hauptangeklagte Beate Zschäpe entlasten - demnach war
sie möglicherweise nicht so stark in die Mordpläne eingeweiht wie von der
Anklage angenommen. Die Bundesanwaltschaft legt Zschäpe Mittäterschaft bei allen
Verbrechen der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) zur Last, darunter zehn Morde.
Carsten S. belastet Mitangeklagten Ralf Wohlleben erneut
Den Mitangeklagten Ralf Wohlleben belastete S. erneut. Der frühere
NPD-Funktionär habe ihm erzählt, dass Böhnhardt und Mundlos jemanden
angeschossen hätten. "Ich habe mit Wohlleben telefoniert, und Wohlleben hat
gelacht und gesagt, die haben jemanden angeschossen." Er habe sich gedacht:
"Hoffentlich nicht mit der Waffe", die er beschafft hatte. Bei anderer
Gelegenheit, nach einer Schlägerei, habe Wohlleben berichtet, er sei einem
Gegner "auf dem Gesicht rumgesprungen".
Wohlleben und Carsten S. sind wegen Beihilfe zum neunfachen Mord
angeklagt. Carsten S. war nach eigenen Aussagen Mittelsmann zwischen Wohlleben
und dem untergetauchten NSU-Trio; er hatte die
Pistole mit Schalldämpfer besorgt, mit der vermutlich neun Geschäftsleute
ausländischer Herkunft ermordet wurden. Das Gespräch mit Böhnhardt und Mundlos
bei der Waffenübergabe über den möglichen Anschlag in Nürnberg habe er bisher
für sich behalten, sagte Carsten S. "Das habe ich niemandem gesagt. Das habe ich
ganz schnell wieder weggetan."
Schon als Kind vom Nationalsozialismus angezogen
Der 33-jährige Sozialpädagoge, der seit langem aus der Neonazi-Szene
ausgestiegen ist, räumte mit seiner rechten Vergangenheit auf. "Ich habe keine
andere Wahl, ich will reinen Tisch machen, es geht nicht anders." Er berichtete,
wie er mit Kumpanen randalierend durch die Straßen von Jena gezogen sei und
Fensterscheiben eingeworfen habe. Sie hätten "die Sau rausgelassen".
S. gab auch zu, dass ihn der Nationalsozialismus schon als Kind
angezogen habe. "Mich hat das immer fasziniert, das Dunkle, das Dritte Reich."
Auch Waffen habe er "toll" gefunden. Er habe eine Schleuder besessen,
Ninjasterne, Messer, eine Schreckschusswaffe. Die habe er erst 2011 in den Rhein
geworfen, als der NSU mit den Selbstmorden von
Böhnhardt und Mundlos und der Verhaftung Zschäpes aufgeflogen war.
Bundesanwaltschaft überprüft 500 Menschen im Umfeld des NSU
Am Vormittag hatte die Bundesanwaltschaft überraschend erläutert,
insgesamt seien rund 500 Menschen überprüft worden, die dem Umfeld der
Terrorzelle NSU angehören könnten. Die
Anklagebehörde hatte den Prozessbeteiligten zunächst eine Liste von 129 Personen
aus dem Umfeld vorgelegt. Es handele sich bei den neuen Akten um sogenannte
Spurenakten, die für das Verfahren "null Bedeutung" hätten, sagte Bundesanwalt
Herbert Diemer. Die Akten könnten jedoch bei der Bundesanwaltschaft eingesehen
werden. "Wir haben nichts zu verheimlichen."
Nebenklagevertreter reagierten überrascht und verärgert. Er verstehe
nicht, "warum wir zuletzt eine Liste mit 129 Personen bekommen, wenn es eine
aktuelle mit 500 gibt", sagte Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer.