Berlin. Tausende Liter Wasser strömen Tag für Tag in das ehemalige Salzbergwerk Asse, wo seit Jahrzehnten Atommüll gelagert wird. Ein neues Gesetz soll jetzt dafür sorgen, dass die strahlenden Fässer so schnell wie möglich an einen sicheren Ort kommen. Ob das überhaupt gelingen kann und wieviel das alles kostet, ist völlig ungeklärt.
Rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Atommüll aus dem maroden Endlager im Salzbergwerk Asse sollen schnellstmöglich geborgen werden. Der Bundestag beschloss dazu am Donnerstag ein von Union, FDP, SPD und Grünen gemeinsam erarbeitetes Gesetz, das eine Beschleunigung der Arbeiten in dem früheren Salzbergwerk bei Wolfenbüttel ermöglichen soll. Der Rückholung wird dabei der Vorzug vor einer Verfüllung des Schachtes gegeben.
Die Bürger befürchten, dass wegen eindringenden Wassers der Atommüll mittel- oder langfristig das Grundwasser in der Region verseuchen könnte. Allerdings wird die Rückholung mindestens vier Milliarden Euro kosten - eher aber doppelt soviel. Und ob das Projekt überhaupt machbar ist, kann bisher niemand sagen.
Rückholung kann auch abgebrochen werden
Zur Beschleunigung der Maßnahmen sollen bestimmte Regelungen im sehr strengen Atomgesetz geändert und gelockert werden. Konkret geht es um eine Neufassung von Paragraf 57b. So muss es mit der "Lex Asse" kein zeitraubendes Planfeststellungsverfahren geben - einfache strahlenschutzrechtliche Genehmigungen reichen, um mit der Bergung zu beginnen. Ausnahmen von Strahlenschutzvorschriften sind möglich, wenn der Strahlenschutz weiterhin gewährleistet ist.
Abstriche beim Strahlenschutz gebe es aber nicht, versicherte Umweltstaatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU). Im Gesetzestext heißt es: "Die Rückholung ist abzubrechen, wenn deren Durchführung für die Bevölkerung und die Beschäftigten aus radiologischen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Gründen nicht vertretbar ist."
Atomkraft: Eine Chronologie in Ausschnitten
In den Schacht dringen täglich 12 000 Liter Wasser ein. Bisher ist nicht bekannt, wie es hinter den mit meterdicken Betonverfüllungen verschlossenen Atommüll-Kammern aussieht. Zur Bergung muss auch ein neuer Schacht gebaut werden, sowie ein oberirdisches Zwischenlager. In welches Endlager der Atommüll dann abtransportiert werden soll, ist auch noch offen. Das bisher einmalige Projekt könnte bis über das Jahr 2040 hinaus dauern. Und niemand kennt den Ausgang.
Desaster der Entsorgungspolitik
Denn das Atommülllager Asse gilt nach einhelliger Meinung als Desaster deutscher Entsorgungspolitik: Die Fässer mit radioaktiven Abfällen aus Atomkraftwerken, Forschungszentren oder medizinischen Einrichtungen waren 1967 bis 1978 in mehreren hundert Metern Tiefe in alte Salzkammern gebracht und dort teilweise einfach abgekippt worden. Zum Problem wurde dies spätestens, als entdeckt wurde, dass Wasser in die Asse läuft und die Gefahr eines unkontrollierten "Absaufens" heraufbeschwört. Bisher lässt sich dieser Zufluss laut Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) beherrschen. Aber ob dies so bleiben wird, ist unklar.
2010 erklärte das BfS, dass die rechtlich vorgeschriebene Langzeitsicherheit der Lagerung von Atommüll in dem Bergwerk nicht garantiert ist. Die Behörde hatte die Kontrolle über die Asse erst 2009 aufgrund der anhaltenden Probleme vom vorigen Betreiber, dem Münchner Helmholtz-Forschungszentrum, übernommen.
Fässer wahrscheinlich in schlechtem Zustand
Alle zuständigen Behörden und alle politischen Parteien wollen den Vorschlag der BfS-Experten befolgen und die Asse räumen. Das weltweit praktisch einmalige Projekt ist aber hochkomplex, ein Gelingen kann nicht garantiert werden. Für Komplikationen könnte unter anderem sorgen, dass die Fässer nach Jahrzehnten im Salz in sehr schlechtem Zustand sein und nicht mehr gefahrlos geborgen werden könnten. Selbst die genaue Zusammensetzung der Abfälle ist heute teils nicht mehr bekannt, da die Einlagerung damals nur lückenhaft dokumentiert worden war.
Derzeit bohrt das BfS eine alte Lagerkammer an, um Genaueres über den Müll zu erfahren. Bereits dabei zeigte sich, dass die Genehmigung für Arbeiten an der Asse, für die teils das Atomrecht und teils das Bergrecht gilt, derart kompliziert ist, dass allein deshalb lange Verzögerungen drohen könnten. Diese Erkenntnis brachte die Experten aller Parteien dazu, gemeinsam ein Gesetz auf den Weg zu bringen, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt. Diese "Lex Asse", an der auch Bundes- und niedersächsische Landesregierung sowie Vertreter der Region mitwirkten, ist nun beschlossene Sache.
Es soll unter anderem dafür sorgen, dass Spezialanlagen für eine Rückholung wesentlich schneller genehmigt und gebaut werden können als dies bei derart sensiblen Vorhaben sonst der Fall wäre. Denn für die Bergung der Fässer - so sie am Ende möglich sein wird - muss ein neuer Schacht in das Bergwerk gegraben werden, überirdisch müssen zudem ein Atommüllzwischenlager und eventuell eine Anlage zur Neuverpackung der alten Fässer entstehen. Ohne eine Flexibilisierung der Regeln könnten allein die Genehmigungen das Projekt jahrelang verzögern.